Die Optik mit Festbrennweite 90mm behandle ich hier.
Die Optik mit Festbrennweite 35mm behandle ich hier.
Die Optik mit Festbrennweite 24mm behandle ich hier.
B – Angénieux Retrofocus 28mm f3,5 (R11) von 1953: Mit Alpa-Anschluss wie die meisten anderen meiner Angénieux-Festbrennweiten. Diese Optik wurde auch im gleichen Jahr schon ausgeliefert, in dem das 35er richtig in Großserie anläuft. Es hatte 1951 bereits einen Prototypen mit f2.8 gegeben, dessen Aufbau aber wieder fallen gelassen wurde. Tatsächlich ist der Linsenschnitt gegenüber dem 35mm f2.5 wesentlich geändert – mit 6 Einzellinsen.
Der früheste Wettbewerber dazu tauchte meines Wissens in der BRD 1956 mit dem Ultra-Lithagon 28mm f3.5 von Enna auf (ebenfalls 6 freistehende Einzellinsen). Das entsprechende ISCO-Westron 28mm f4.0 taucht erst 1961 auf – 3 Jahre nach dem Westron 24mm f4.0!
Zeiss Jena und Zeiss-Ikon West haben beide diese Brennweite 28mm damals nicht „bedient“ – dafür war in der DDR Meyer-Optik Görlitz zuständig (bis auch dieser ruhmreiche Name in dem Großkonzern „Pentacon“ unterging). Dort brauchte man noch etwas Zeit – das Lydith 30mm f3.5, für das schon 1958 Schutzschriften eingereicht war, wurde schließlich erst 1963 ausgeliefert. Mit Patent von 1964 folgte dann das Orestegon 29mm f2.8 (7-Linser) – später hieß es Pentacon 29mm f2.8.
Die japanischen SLR-Hersteller waren ja gerade dabei, ihre Systeme aufzubauen: ein Nikkor 28mm f3.5 gab es erst 1959, ein Auto-Takumar 28mm f3.5 erst ab 1962. Canon baute 28er erst ab der Einführung des FL-Bajonetts (1964).
Außer den beiden Meyer-Optiken besitze ich keine weiteren frühen Objektive in diesem Brennweitenbereich.
Ich war später kein großer Anhänger des Brennweitenbereiches 28mm, weshalb ich auch kein entsprechendes Leica-Exemplar besitze und auch keine wirklich moderne 28mm-Linse. Ausnahme ist die der Zeit um 1975/80, als erste lichtstarke Typen aufkamen (siehe Vivitar Serie1). Wie man der Tabelle entnehmen kann, können Zooms bis f2.8 heute die Funktion gut übernehmen – man muss dann deren Größe allerdings in Kauf nehmen wollen.
Meyer-Optik (Orestegon) Pentacon 29mm f2,8 MC (1964)
Olympus OM 28mm f2,8 (1973)
Vivitar Serie1 28mm f1,9 (1975)
Contax G Zeiss Biogon 28mm f2,8 (1994)
Canon EF 28mm f1,8 (1995)
Extra: Tamron Zoom 28-75mm f2,8 bei 28mm (2018)
Hier der Auflösungsvergleich als Tabelle:
Bei dem Angénieux Retrofocus 28mm f3.5 ist – nun bei 75° Bildwinkel – die Auflösung im Vergleich zum 35mm-Objektiv in Rand/Ecke geringfügig reduziert (auch abgeblendet – bei Offenblende liegt die Ecke jetzt bei 31 Linien/mm). Aber die Auflösungswerte sind exzellent für den zeitgenössischen Analog-Standard. Die Verzeichnung ist noch einmal verringert bei jetzt besseren CA-Werten. Tatsächlich ist die Verzeichnung mit Abstand die geringste mit allen 28mm-Vergleichsobjektiven in meinem 28mm-Vergleich.
Wieder kann man sagen, dass der allgemeine Stand der Technik erst Anfang der 1970er Jahre wirklich über das Angénieux hinaus geht: das Olympus OM 28mm f2.8 ist in diesem Vergleich die neue Landmarke (ab 1973) für die nächsten 20 Jahre.
Das Vivitar Serie1 28mm f1.9 erreicht bei Blende 2.8 übrigens ziemlich genau die Auflösungswerte des Olympus 28mm f2.8 und hat darüber hinaus noch die Besonderheit des „floating element“ Designs. Tatsächlich wude es damals von Modern Photography in höchsten Tönen gelobt:
Dabei wird die Schwäche mit „flare“ bei voller Öffnung (Streulichtanteile von überkorrigiertem farbneutralem Astigmatismus, die bei Blende 4 praktisch verschwinden) erwähnt, die man an der MTF-Kuve unten auch sehen kann.
Das ContaxG Biogon 28mm f2.8 (tatsächlich einmal ein 28er von Zeiss… 1994) ist im Aufbau ein Meßsucher-Objektiv, auch wenn die Kamera automatisch fokussiert! Die extrem schlechten Rand/Ecken-Auflösungswerte dieses Objektivs sind nicht real: durch den sehr nah an die Filmebene heran reichenden hinteren Linsenscheitel (kleine hintere Schnittweite) ist dieses Objektiv nicht geeignet für einen digitalen Sensor wegen der am Rand extrem flach auf den Sensor einfallenden Strahlen. Das ist aber heute bereits weitgehend bekannt – alle Biogone sind an Digitalsensoren sehr schwach im Außenbereich des Bildfeldes.
Das 1995er Canon EF 28mm f1.8 (1995) ist noch nicht eine Optik auf dem heutigen Stand der Technik. Es ist in fast allen Auflösungswerten schlechter als das über 20 Jahre ältere Vivitar Serie1 ! Nur Chroma und Verzeichnung sind etwas besser. Ich kenne den Grund nicht. Es gehört eben nicht der L-Klasse an … Aber es gibt auch Positives zu berichten: Die optimale Blende ist bereits bei f8 erreicht. An der MTF-Kurve kann man erkennen, dass das Objektiv bei niedrigen Frequenzen einen deutlich höheren Bildkontrast liefert als die älteren Systeme. Trotz der schwächeren Auflösung im höheren Frequenzbereich wirken die Bilder daher insgesamt „knackiger“. Auch die Kantenschärfe ist verbessert.
Die ganz große Überraschung des Vergleiches ist das frühe Meyer-Optik Lydith 30mm f3.5 von 1958: die Auflösungsleistung in der Bildecke ist zeitgenössisch gesehen überragend. Es ist ein 5-Linser!!! und bei Offenblende eine Klasse besser als der 7-Linser „Orestegon 29mm f2.8“ – und auch besser als das Angénieux! Die Schwäche der 29er Optik läßt sich vielleicht nach „zeissikonveb.de“ daraus erklären, dass aus Preisgründen überwiegend (6 von den 7 Linsen!) 30er-Jahre-Glastechnologie zum Einsatz kam. Zur Ehrenrettung muss man sagen, dass das Orestegon bei Blende 4 die Werte des Lydith bei Blende 3.5 erreicht oder übertrifft und die CA-Werte und die Verzeichnung deutlich verbessert sind. Das Lydith überragt noch ein ganzes Jahrzehnt die üblichen (meist japanischen) „third-party-lenses“, wie das „normale“ Vivitar 28mm f2.5 in diesem Vergleich – und das war eines der besseren Fremdobjektive.
Fazit: Wieder kann man sagen, dass dieses Angénieux 28mm ein Spitzenobjektiv seiner Zeit ist – mit sehr langer „Halbwertzeit“ bezüglich des Standes der Technik. Es wurde dann ja auch in dieser Form bis 1971 geliefert – 18 Jahre lang. Einen Nachfolger gab es nicht.
Ich weise darauf hin, dass die Auswahl der Vergleichsoptikennicht marktrepräsentativ ist sondern sich aus dem Bestand meines Objektivbesitzes ergab. Ein wirklich „modernes“ 28er Objektiv war diesmal nicht dabei – außer dem Tamron-Zoom mit den wirklich erfreulichen Werten.
Untenstehend sehen Sie die einzelnen Meßergebnisse der relevanten Optiken bei Offenblende und bei optimaler Blende:
Folgend untersuche ich die drei Retrofocus-Objektive, die Angénieux für das Kleinbildformat entwickelt und produziert hat:
Retrofocus 35mm f2.5 (R1) – öffentlich vorgestellt in Paris 1950, ab 1953 in großen Mengen geliefert (ca. 45.000 p.a.! – die Hälfte nach USA))
Retrofocus 28mm f3.5 (R11) – ebenfalls ab 1953 geliefert
Retrofocus 24mm f3.5 (R51/61) – ab 1957 geliefert
(Im Beitragsbild oben von links nach rechts.)
Es gab keine Nachfolge-Modelle und auch kein 20mm-Weitwinkel mehr. Pierre Angénieux sah offensichtlich aufgrund der geringen Stückzahlen und der Schwierigkeit, ausreichend hohe Preise im Amateur-Fotomarkt durchzusetzen (anders als im Cine-Sektor) zu wenig wirtschaftlichen Nutzen in diesem Segment.
Zur Entwicklung des Retrofocus-Weitwinkelobjektivs und der Geschichte der Firma Pierre Angénieux lesen Sie bitte hier in meinem Blog nach:
A – Angénieux Retrofocus 35mm f2,5 (R1), 1950-Patent und öffentl. Vorstellung in Paris/1953-Lieferung in Großserie: das berühmte allererste Retrofokus-Objektiv (hier für die Exakta). Zu dem gibt es natürlich keine echten Vorläufer.
Dagegen gestellt (siehe Tabelle unten):
Carl Zeiss Jena Flektogon 35mm f2,8 (Prototypen auch 1950 / Serie 1953)
Schneider Curtagon 35mm f2,8 (1958)
Carl Zeiss Jena Flektogon 35mm f2,8 (2. Rechnung – 1961)
Canon Rangefinder (M39) 35mm f2,0 (1962)
Minolta MD 35mm f1,8 (1968)
Canon FD 35mm f2,0 (1971 – konkave Frontlinse!)
Leica R Summicron II 35mm f2,0 (1977)
State-of-the-art für spiegellos: Sony Zeiss Sonnar 35mm f2,8 (E-Mount, 2015)
Zoom-Vergleich: Tamron 28-75 f2,8 bei 35mm (2019 – mindestens so gut wie Festbrennweite!)
Machen wir uns bewußt, dass wir hier Anfang der 1950er Jahre beim Erscheinen der ersten Retrofokus-Weitwinkelobjektive für Spiegelreflex-Kameras an dem Scheideweg stehen, der den Erfolg der SLR erst ermöglichte: das Hindernis des großen Auflagemaßes, das durch den Spiegel bedingt ist, wird überwunden!
Hier noch ein kleines Detail am Rande: P.Angénieux war bereits ab Erscheinen der Alpa-Reflex SLR-Kamera (1944) in Kontakt mit dem Hersteller und lieferte auch unmittelbar Mitte der 1940er Jahren Normalobjektive und Teleobjektive zur Alpa. Da die Alpa-Reflex ein ungewöhnlich kleines Auflagemaß von 37,8 mm besaß (Exakta und fast alle anderen liegen bei 44,5 mm!) schaffte es Angénieux bereits in den Jahren ab 1947 ein 35mm-Weitwinkel für die Alpa zu liefern – das „Typ X1“ 35mm f3,5, ein ganz normaler Tessar-Typ. Das einzige nicht-Retrofokus-35er für eine SLR, das mir bekannt ist. Es sollen ca. 200 Objektive gefertigt worden sein. Für alle anderen Kleinbild-SLR galt damals noch die 40mm-Grenze der Brennweite. Wer Lust hat sich von der Qualität eines normalen 40er-Jahre-Tessars zu überzeugen, muss allerdings für das 38 Gramm schwere Objektiv heute mit einem Preis von ca. € 2.500 rechnen …
Besonders gespannt war ich natürlich auf den Vergleich mit dem zeitgenössischen „Rivalen“, dem Carl Zeiss Jena Flektogon 35mm f2.8. Hier gibt es das Problem, dass im Zeiss-Jena Werk (unter Dr. Harry Zöllner und Rudolf Solisch) es für das ursprüngliche Flektogon 35mm zwei optische Konstruktionen gab (1953 und 1961) – wobei die zweite Variante nacheinander (bis 1976, als es durch das neue 35mm f2,4 ersetzt wurde) in drei verschiedenen Gehäusedesigns vorliegt: Guttapercha, Zebra und Gummiring. Viele der ganz frühen Exemplare, die am Gebrauchtmarkt gehandelt werden, haben mehr oder weniger kräftige Schleier und sind teilweise völlig unbrauchbar. Nach einiger Suche, fand ich von der ersten Version in Alu/Silber (M42) eines mit schön klaren Linsen – meine zweite Version (Exakta) hat das Gehäuse mit Gummiring (das „jüngste“ – nach 1975 – und seltenste) und ist noch in gutem, klaren Zustand.
Hier die Auflösungsvergleich-Tabelle:
Ich weise darauf hin, dass die Auswahl der Vergleichsoptikennicht marktrepräsentativ ist sondern sich aus dem Bestand meines Objektivbesitzes ergab.
In den 50er Jahren kamen unmittelbar nach dem 35er Angénieux praktisch von allen Objektivherstellern äquivalente Retrofokus-Weitwinkelobjektive für SLR heraus:
Man sieht gleich auf diesem Bild, dass die zunächst exorbitanten Dimensionen der Frontlinsen und der Baulängen schnell schrumpften, nachdem man davon abging, eine einfache Zerstreuungslinse vor ein „Grundobjektiv“ zu setzen sondern anstatt dessen ein „integriertes“ Gesamtobjektiv entwarf. Ich verzichte hier auf Linsenschnitte, da diese bereits überall dokumentiert sind – der Artikel würde sonst vollends ausufern. Demnächst werde ich noch entsprechende Literaturangaben hinzufügen.
Weitere wichtige Neuerscheinungen der ersten Jahre (neben den Objektiven in der obigen Tabelle) waren z.B.: Enna Lithagon 35mm f4.5 (1953), Meyer-Optik Primagon 35mm f4.5 (1956), Schacht Travegon 35 f3.5 R (1956), Topcon Topcor 35 f2.8 (1957), Zeiss-Ikon Contarex 35 f4.0 (1957), Takumar 35mm f4.0 (1957), Auto-Takumar 35mm f2.3 (1958), Enna Super-Lithagon 35mm f1.9 (1958), Isco Westron 35mm f3.5 (1958), Canon 35mm f2.5 (R-Bajonett – 1960), Nikkor 35 f2.8 (1962), Nikkor 35 f2.0 (1965).
Als gesichert kann gelten, dass das Zeiss Jena (interne Prototypen 1950 sicher bekannt!) und Angénieux (Muster 1950 öffentlich auf dem Fotosalon in Paris vorgestellt!) tatsächlich gleichzeitig an ihren Produkten arbeiteten. Klar ist auch, dass Angénieux mit dem früheren Patent und der früheren Veröffentlichung (beides 1950) die Nase vorne hatte. Jenas Prototypen von 1950 basierten auf einer Rechnung von 1949 und wurden wieder verworfen. Die Optiken, die 1953 geliefert wurden basierten auf einer neuen Rechnung von 1952! Wer als erster hinaus geht, trägt immer das Risiko, dass es noch keine Erfahrungen mit dem neuen Produkt gibt. Dass die Nachfolger davon lernen konnten, bis sie 2-4 Jahre später nachzogen, ist gewiss – aber wieviel? Damals wurde Optik noch manuall gerechnet. Es heiß, dass zwei Konstrukteure für ein typisches Linsensystem 2 Jahre Rechen-/Entwicklungszeit brauchten. Angénieux behauptete, dass er 10-fach schneller rechnete (ohne Computer), was plausibel erscheint, wenn man sich die schnelle Folge der neuen Objektive in dieser kleinen Firma Mitte der 1950er ansieht.
Zur optischen Qualität (einige Messdiagramme finden Sie unterhalb des Textes):
Ich betrachte Angénieux‘ ersten Entwurf als ausgewogen – die Auflösung am Rand liegt auch im Vergleich zu den bis dahin üblichen besten Weitwinkel-Meßsucherobjektiven im guten bis sehr guten Bereich. Zum Verständnis: 406 Linienpaare je Bildhöhe (LP/PH) bei Offenblende (f2.5!!) im Rand/Ecken-Bereich entsprechen 34 Linien/mm – was bei Modern Photography für Offenblende Weitwinkel an Rand/Ecke damals zu einem „Excelent“-Rating geführt hätte. Abgeblendet erreicht das Objektiv für die damalige Analog-Fotografie völlig gleichmäßige Auflösung – und übertrifft in der Mitte (bis 50% des Bildkreises) die Nyquist-Frequenz der Sony A7Rm2/3! Hier noch die bildliche Veranschaulichung der 406 LP/PH bzw. 34 L/mm in der Bildecke:
Bei allen Angénieux-Weitwinkeln (am stärksten beim 24mm f3.5!) hat man größten Wert auf eine sehr geringe, im Bild fast nicht mehr wahrnehmbare VERZEICHNUNG gelegt – und dafür erhebliche CA-Werte in Kauf genommen.
Über die nächsten 20 Jahre wird laut Tabelle offensichtlich die Offenblenden-Ecken-Auflösung der Weitwinkel nicht gravierend gesteigert werden – erst ab Anfang/Mitte der 1970 gibt es einen wirklichen Durchbruch mit neuen Glassorten (und vollends dann ab ca. 1983/84 mit ED-Glas): schönstes Beispiel das Summicron II 35mm f2.0 von 1977!
Anders sieht es beim Flektogon 35mm f2.8 von 1950/1953 aus Jena aus: die Rand-/Ecken-Auflösung bei Offenblende ist „unterirdisch“ und kommt auch bei Abblenden nicht ausreichend hoch. Die Mittenauflösung erscheint vor allem beim Abblenden stark übersteigert. Das war leider ein Flop… Daher sah sich Zeiss Jena veranlasst, zehn Jahre später (1960) eine Neurechnung durchzuführen um konkurrenzfähig zu werden – wahrscheinlich ist es eine der ersten Objektiv-Berechnungen, die mit dem neuen Computersystem in Jena (OPREMA) durchgeführt wurde (?). Diese Neuberechnung des Flektogon 35mm f2.8 (geliefert ab 1961) ist dann ein Spitzenoptik nach dem damaligen Stand der Technik! Anscheinend war es notwendig, dafür wesentlich höhere Verzeichnung und deutlich höhere CA in Kauf zu nehmen als ursprünglich geplant.
Zur Illustration hier die Bilder der Auflösungs-Targets in der unteren Rechten Ecke (UR) bei Offenblende (dunkel, da ich die Vignettierung nicht korrigiert habe):
Bei der Neugerechnung ist die Eckenauflösung nun erkennbar besser als beim Angénieux – Zeiss-Jena ist rehabilitiert!
Bemerkenswert finde ich, wie der Schneider-Curtagon-Entwurf die Größe des Objektivs verringert und gleichzeitig die Qaulität deutlich verbessert. Nicht nur die Auflösung übertrifft deutlich ihre Vorgänger-Konkurrenten – auch hat es noch geringere Verzeichnung als das Angénieux und exzellente CA-Werte! Das Schacht Travegon 35mm f3.5 R von 1956 hat etwa das gleiche Qualitätsniveau wie das Curtagon – ist aber nicht ganz so kompakt.
Das Canon FD 35mm f2.0 S.S.C. ist der Exot mit der nach vorne konkaven Frontlinse und Thorium-Glas (radioaktiv?). Es ist das größte und massivste der hier geprüften 35er – und ziemlich gleichauf in der optischen Leistung mit dem Minolta W.Rokkor-X 35mm f1.8, das im Vergleich ein Zwerg ist. Diese um 1970 entstandene Objektiv-Gruppe stellt eine optische Verbesserung gegenüber dem Angénieux dar – aber nur graduell (besonders bei der Chromatischen Aberration – und abgeblendet am Rand). Bei der Lichtstärke liegt natürlich der eigentliche Fortschritt dieser Objektive – bei Erhaltung des Qualitätsniveaus – eine ähnliche Herausforderung wie es die weitere Vergrößerung des Bildwinkels darstellen wird. Das schon 3 Jahre vor dem Minolta-Objektiv entstandene Nikkor mit Lichtstärke 2.0 kenne ich leider nicht.
Schon in meinen Analog-Fotografie-Zeiten war das Summicron-R II 35mm f2.0 (1977) die absolute Referenz – eine wahre Freude, nicht nur in der Auflösung (die notwendig – aber nicht ALLES ist!). Überraschend finde ich, dass diese Optik noch heute (an hochauflösenden DigitalSensoren) so gut mithalten kann!
Mein „modernstes“ 35er, das (für die spiegellose Digitalkamera gerechnete) Zeiss Sony Sonnar 35mm f2,8 ist ein auf extreme KOMPAKTHEIT getrimmtes Objektiv mit sehr geringer Verzeichnung und CA, das dafür auf Spitzenwerte der Auflösung verzichtet. Es gibt heute extreme, lichtstarke Rechnungen mit 14 – 16 Linsen, die über 1 kg wiegen und schon bei Offenblende die Leistung einer 60 MP-Kamera über das gesamte Bildfeld ausreizen.
Fazit: das Angénieux Retrofocus 35mm f2.5 hat zu Recht den Ruf von Angénieux als Innovator und Hersteller von Objektiven sehr hoher Qualität begründet – zumal es praktisch bis Anfang der 70er Jahre auf dem Stand der Technik blieb! Wir werden in Kürze weiter sehen, wie er sich bei den folgenden kürzeren Weitwinkel-Brennweiten geschlagen hat.
Dieses Objektiv wurde ab 1951 (oder 1954 … verschiedene Angaben) ausgeliefert.
Für alle, die den Namen Angénieux kennen, gehören diese Objektive zu den legendären historischen Foto-Produkten, die nicht nur zeitgenössisch an der Spitze lagen sondern auch führend und innovativ gegenüber dem Wettbewerb einzustufen waren.
Soweit das Vorurteil! … aber stimmt das auch? – und was kann man davon anhand von 50-70 Jahre alten gebrauchten Objektiven heute noch feststellen?
Alle Objektive, die ich hier untersuche, besitze ich. Ich will hier nicht mit meinen Testbedingungen langweilen sondern habe das Thema in einen eigenen Artikel „ausgelagert“. Im Prinzip und kurz umrissen: ich fotografiere mit den Objektiven , die ich an die jeweilige Digitalkamera (Sony A7Rm4 oder Fujifilm GFX100 im 35mm-Modus – beide ca. 60 MP) adaptiere, eine Original-IMATEST-Chart (SFRplus) unter möglichst kontrollierten Bedingungen ab und analysiere sie mit der IMATEST-Software. Mehr dazu unter diesem Link.
Als optische Qualitätsmerkmale ziehe ich heran:
MTF-Kurve (MTF-Wert über Frequenz)
Radiale MTF-Verteilung (MTF30-Auflösung über Abstand von der Bildmitte)
Mittlerer, gewichteter Wert MTF20/MTF30/MTF50 (über gesamte Bildfläche)
Kantenprofil und CA (Bildmitte, lokal)
Chromatic Aberration R-G, B-G radial über die gesamte Bildfläche (nur in ausgewählten Fällen)
Als Auflösungswert benutze ich grundsätzlich Linienpaare per Bildhöhe (LP/PH). Die Bildhöhe ist hier immer 24 mm (Querformat). Nach meinen Erfahrungen ergeben die Auflösungswerte der MTF30 den realistischsten Vergleichswert für die allgemeine bildliche Fotografie.
Mein persönliches Interesse liegt dabei hierauf:
welche optischen Leistungen besitzt ein historisches Objektiv?
wie liegt diese im Vergleich zu zeitgenössischen anderen Objektiven?
wie sieht der Vergleich zu den neueren und modernsten Optiken von heute aus?
Auf die Problematik, dass man da bis zu 100 Jahre alte, gebrauchte Objektive gegebenenfalls fabrikneuen, modernen gegenüber stellt, gehe ich in meinem Beitrag zu meinen Testmethoden näher ein. (Nobody’s perfect!)
Ich erstelle diese Testergebnisse bei allen Blenden (bis max. f16) und stelle hier im Vergleich die Auflösung in der gesamten Bildebene für die jeweils „optimalen Blende“ dar – die natürlich zwangsläufig einen Kompromiss aus verschiedenen Eigenschaften darstellt. Im Laufe der Optik-Geschichte hat sich die für die Auflösung (und deren Konstanz über die Bildebene!) günstigste Blende ständig weiter zu größerer Blendenöffnung (kleinere WERTE) verschoben. Die ältesten Objektive (bis ca. 1965) wurden beim Abblenden meist bis zu Blende 11 immer besser in der Auflösung und Kontrast – in Ausnahmen noch weiter. Allerdings war die „Kantenschärfe“ auch damals meistens schon optimal bei Blende 5,6. Bis in die 80er Jahre liefert dann Blende 8 die beste Auflösung – später Blende 5,6. Heutige (meist asphärische) Optiken können schon bei Blende 2,8 bis 4,0 ihre höchste Auflösung erreichen. Dies habe ich hier berücksichtig und die Test-Blende entsprechend gewählt.
In der linken Spalte jeweils die Auflösung (Linienpaare/Bildhöhe – LP/PH bei MTF30, also dem MTF-Wert bei 30% Kontrast!) über der Distanz von Bildmitte (0) bis zur Bildecke (100). Die Nyquist-Frequenz des Sensors entspricht stets der Wert 3168 LP/PH (Linien-Paare, nicht Linien!). Zusätzlich zur Auflösungskurve ist die Auflösung bei MTF30 getrennt für tangentiale und sagittale Strukturen als „gewichtetes Mittel“ über die ganze Bildfläche angegeben.
Verwendet wurden handelsübliche Adapter an den Sony-E-Mount – diese sind vielleicht die größte (mechanische) Fehlerquelle innerhalb dieser Tests.
—> Hinweis: Diese Untersuchungen an älteren und gebrauchten historischen Objektiven liefert Messergebnise für das Auflösungsvermögen, Verzeichnung und Chromatische Aberrationen der jeweiligen Objektive unter reproduzierbaren und kontrollierten Beleuchtungsverhältnissen (genormte, reflexfrei beleuchtete Chart). Das bedeutet nicht, das das jeweilige Objektiv unter allen denkbaren REALEN Lichtverhältnissen an der Digitalkamera entsprechend hochwertige Bildergebnisse erzielt – besonders im Gegenlicht können Streulicht und andere unangenehme Effekte auftreten, die bei jedem Digitalsensor unterschiedlich sein können!
Kamera ist hier die Sony A7RMark4 mit 60 MP.
Ich beginne mit meinem ältesten Nachkriegsobjektiv (die Retrofocus-Objektive und die Zooms werden in jeweils eigenen Artikeln besprochen werden):
Angénieux Porträt-Tele 90mm f2,5 von 1951 (Alpa-Anschluß): es ist, wie die meisten der Vergleichsobjektive (Ausnahme Kinoptik und Apo-Macro-Elmarit), auch ein Ernostar-Typ (vier freistehende Linsen) – die Sonnare sind ja auch ein (ebenfalls von Bertele) weiterentwickeltes Ernostar… und das Olympus sehe ich als eine Art „Hybrid“ aus Gauss-Typ und Sonnar.
Dagegen gestellt:
Ur-Ernostar 100mm f2,0 (1923)
Kinoptik Apo 100mm f2,0 (ca. 1950)
Canon Rangefinder (M39) P 85mm f1,8 (1960)
Zeiss Sonnar 85mm f2,0 (Contarex 1961)
Vivitar Serie1 90mm f2,5 Macro (ca. 1977)
Leitz Apo-Makro Elmarit 100mm f2,8 (1987)
Zeiss Sonnar für Contax G 90mm f2,8 (1994)
Leica M Apo-Summicron ASPH 90mm f2,0 (1998)
State-of-the-art: Sony GM 85mm f1,4 (Spiegellos, E-Mount, 2018)
Sorry – das sind eine Menge Daten – und es sind einige „LEGENDEN“ darunter! Wichtig war mir, die beiden „Rangefinder“-Optiken (Canon M39 und Leica M) mit einzustreuen, da ja eine weitere Legende lautet: Messsucher-Kamera-Objektive sind grundsätzlich besser als die SLR-Optiken…
Für die, denen „Contax G“ kein Begriff ist: Eine geniale, späte (und sehr schöne!) Messsucher-Kamera von Kyocera die (1994!) mit Autofokus ausgestattet war – einige der Objektive dazu gehören zu den besten, die je gebaut wurden – und sogar ein Hologon 16mm wurde dieser Kamera spendiert (eine eigene Legende). Aber Biogon 21mm und Hologon 16mm sind an Digitalsensoren nicht brauchbar (zu kurzer Abstand der letzten Linse zum Sensor – zu flacher Strahleneinfall).
Hier die von mir gemessenen Auflösungsdaten dieser Optiken in einer Tabelle:
Wie schon erwähnt sind die MFT30-Auflösungswerte in der Hauptspalte 4 ein gewichtetes Mittel über die gesamte Bildfläche! (Zentrum Gewicht 1, Übergang Gewicht 0.5, Ecken Gewicht 0.25). Angegeben sind bei jedem Objektiv die Werte für Offenblende und die optimale Blende (bei den ältesten und auch beim Angénieux sind das Blende 11, je jünger die Optik, desto weiter geöffnet wird das Optimum erreicht!). Siehe auch Artikel über das Testverfahren.
Da es bei älteren Optiken erheblichen Randabfall der Auflösung gibt, habe ich die Mittelwerte NUR für das Bild-Zentrum und NUR für alle Bild-Ecken (ohne Gewichtungsfaktor!) hinzugefügt (Spalten 5 + 6).
Wenn ein Objektiv nicht perfekt zentriert ist, können am Rand oder in ein oder zwei Ecken ziemlich niedrige Werte auftreten – diese sind in die Mittelwerten hier mit eingegangen – die ziehen also das Gesamtergebnis deutlich RUNTER!
Beruhigend für mich war, dass das modernste Objektiv, das auch noch vom Hersteller für genau diesen Sensor entwickelt wurde (Sony GM 85f1,4) tatsächlich – und schon bei f4,0 – das Beste ist und der Mittelwert bei 98% der Nyquist-Frequenz der 60 MP-Kamera liegt – wofür hätte ich sonst das viele Geld hingelegt? (…auch ist das Objektiv im Zustand ja praktischt neu und wird ohne Adapter benutzt!)
Aber nun zu unserem Kandidaten Angénieux 90mm f2,5:
Der Veteran, der ja bis zu 69 Jahre alt sein könnte, mit Gebrauchsspuren, Putzspuren, Staub in der Optik und einer der ersten „Nachkriegsvergütungen“, erreich im Maximum (f11) einen Mittelwert von 85% Nyquistfrequenz über die gesamte Bildfläche (2.708 LP/BH) und in der von mir gewählten Vergleichsgruppe (praktisch alles Optik-LEGENDEN!) dauert es 26 Jahre, bis ein 90er Objektiv erscheint (VivitarSerie1 90f2,5), das das Angénieux in der Maximalauflösung übertrifft. Das zehn jahre später (1961) herausgekommene Zeiss Sonnar 85mm f2.0 zur Contarex ist in der Auflösung nicht besser – bei Offenblende f2.0 zeigt es eine Schwäche in der MTF-Kurve, die bei sehr niedrigen Frequenzen (links im Diagramm) relativ steil abfällt. Nach dem VivitarSerie1 gibt es in meiner Sammlung erst 40 Jahre später ein Objektiv, das dieses übertrifft! (Das Apo-Makro-Elmarit 100 übertrifft es nur bei Offenblende.)
Die größten Fortschritte in der Foto-Optik wurden seit den 1950er Jahren ganz offensichtlich in der Offenblenden-Auflösung und dem Randabfall (bei niedrigen Blenden) gemacht.
Im Anhang kann man Messkurven einiger der Objektive ansehen.
Hier die Darstellung der einzelnen Messpunkte bei der optimalen Blende (f11) am Angénieux 90mm. Hier sind die Auflösungswerte am Rand durchgängig (und sehr symmetrisch) etwas höher als in der Mitte:
Ich habe das neu fokussiert überprüft – offensichtlich ist es kein Zufall sondern in der Schärfe-Ebene tatsächlich reproduzierbar.
Eines der Meßergebnisse am Angénieux 90mmf2,5 ist aber in hohem Maße überraschend für ein Objektiv jener Zeit: die Chromatische Aberration (Farbfehler). IMATEST unterscheidet nicht zwischen Längs- und Quer-Farbfehler sondern misst den in der Bildebene auftretenden visuellen Farbfehler. (Das Apo-Kinoptik kann da nicht im Entferntesten mit halten – es hat einen 20-fach größeren Farbfehler als das Angénieux…)
Hier Vergleichsdiagramme für sechs dieser Optiken (1951 und jünger): das zeitgenössische Contarex-Sonnar hat einen ca. 2,5-fach größeren Farbfehler, das nagelneue SonyGM ist graduell besser .. hier ist allerdings die eigentliche Sensation das VivitarSerie1 mit Farbfehlern nahe Null! Achtung: die Ordinaten-Maßstäbe in den Grafiken sind leider nicht gleich… bitte links auf die vetikale Achse schauen!
Fazit:
Angesichts der guten Auflösungsergebnisse auch über das ganze Bildfeld und der extrem guten CA (nicht nur für diese Zeit) war das Angénieux ein herausragendes optisches Produkt. Die optischen Berechnungsmethoden, die Angénieux während des Weltkrieges entwickelt hatte, sollen ja (manuell!) 10-fach zeitlich effektiver gewesen sein, d.h. dort konnte man in gleicher Zeit 10-mal mehr Varianten berechenen, um die beste Lösung zu finden! Das vorliegende Ergebnis widerspricht dem nicht… Das Modell wurde bis 1968 geliefert (für Alpa alleine – in Fassung „E4“ – wurden 1.500 Stück gebaut). Der Kompromiss, den Angénieux machte, um diese exzellenten Leistungen zu erzielen, lag offensichtlich darin, dass er -1,0% Verzeichnung zuließ! Für ein Portrait-Objektiv kein wirklich großes Problem.
Das Angénieux 90mm f2.5 für Alpa (daher die Alpa-interne-Bezeichnung „Alfitar„) ist der zweite Typ mit 90mm Brennweite: Typ Y12. Es ist ein Vierlinser – 4 freistehende Linsen, Ernostar/Sonnar-Typ – mit einer Nachkriegs-Einschicht-Vergütung. Die Verarbeitung (Voll-Metall-Fassung, vernickelt) ist olympisch und auf ewige Haltbarkeit ausgerichtet. Die Glasflächen meines Exemplars entsprechen im Zustand natürlich dem Alter von fast 70 Jahren – aber gut gepflegt, wenig Putzspuren, kein Schleier.
Gegenüber gestellt sind in der Auflösungs-Tabelle und in Kurven im Anhang (s. unten) andere Legenden der Foto-Optik im zeitlichen Abstand von jeweils 7 – 20 Jahren bis hin zum State-of-the-Art-Boliden von Sony (2018), der 11 Linsen und Nanobeschichtung (und 11 Blendenlamellen) hat!
Wenn man sich die Auflösungsmessungen an guten Optiken der letzten 100 Jahre ansieht, dann stellt man fest, dass die axiale Auflösungsleistung (Bildmitte) praktisch auch mit manueller Berechnung (bis Ende der 1950er Jahre) fast „beliebig“ gut sein konnte – jedenfalls höher als jede analoge Filmemulsion (für normale bildnerische Zwecke) sie jemals ausnutzen konnte. Bei dem fast hundert Jahre alten Ernostar 100mm f2.0 erreicht bei Offenblende die Auflösung in der Mitte bereits die Nyquist-Frequenz der 42 MP Sony A7Rm2.
Der technische Fortschritt in den Linsenkonstruktionen durch neue Gläser und Asphären (bei großen Aufnahmeentfernungen!) drückt sich bezüglich der Auflösung weitgehend an den Rändern und in den Bildecken des Formates vor allem bei Offenblende aus, aber auch darin, dass die optimale Auflösung bei deutlich offenerer Blende erreicht wird. Aber Auflösung ist nicht alles!
Der Fortschritt in der Optik wirkt sich auch in Bezug auf höheren Kontrast bei den niedrigen Frequenzen über die ganze Bildfläche aus. (Zum letzteren trägt erheblich auch die immer raffiniertere Vergütung der Glas-Luft-Flächen bei.) Diese Kontrasterhöhung im niedrigen Frequenzbereich läßt die Bilder „knackiger“ aussehen. In den MTF-Kurven wird dieser Umstand sichtbar dadurch, dass die Kurve nicht von Frequenz Null (Kontrast = 1 ) linear bis zur Nyquist-Frequenz abfällt, sondern DEUTLICH darüber bleibt – sichtbar als „Bauch nach oben“ zwischen 0 und 2000 LP/PH. Moderne Objektive haben in diesem Bereich einen mehr oder weniger langen HORIZONTAL verlaufenden Bereich der MTF-Kurve, der sogar noch über den Wert 1 nach oben gewölbt sein kann (siehe Sony GM 85mm und Apo-Summicron-M 90mm bei Blende 5,6 im Diagramm ganz unten). Das Angénieux 90mm f2.5 besitzt einen sehr ausgewogenen MTF-Kurvenverlauf offen und abgeblendet (damals hatte auch Ang. schon MTF-Messungen eingesetzt!). Einen „Bauch“ in der MTF-Kurve hat sogar schon das alte Ernostar 100 f2.0, und as VivitarSerie1 90mm f2.5 (1977) hat sogar auch schon einen kleinen „Überschwinger“ über den MTF-Wert 1. Es hat außerdem die höchste Auflösung aller Objektive mit 85 – 100 mm Brennweite, die ich bisher gemessen habe (mit Ausnahme des nagelneuen Sony GM 85mm f1.4 von 2018) und dabei Verzeichnung Null und CA nahe Null (über ganze Bildfläche). Ein Ausnahme-Objektiv seiner Zeit (… und massiv wie ein Panzer). Schon Modern Photography hatte es seinerzeit als das „best ever“ gefeiert.
Noch eine kurze Anmerkung zu den drastisch geringeren Ecken-Auflösungenbei Offenblende der Objektive aus den 20er bis 60er Jahren – verglichen mit ihrer hohen zentralen Auflösung. Ecken-Auflösungswerte von 500 – 600 Linienpaaren pro Bildhöhe bedeuten ca. 40-45 Linien/mm in der uns früher geläufigen Zählweise. Wenn man sich Testergebnisse aus den 60er und 70er Jahren ansieht (Modern Photography), so werden dort bei Offenblende Werte von 45 Linien/mm am Rand als „Excellent“ bewertet, selbst im Zentrum erreicht kaum ein Objektiv mehr als 80 Linien/mm. „Minimum-Standards“ (=“Acceptable“) lagen in den Ecken bei 20 – 36 Linien/mm. Nach meiner Auffassung war auf Analog-Filmemulsion die nutzbare Auflösungsgrenze bei ca. 1.200 LP/BH (35mm-Film) – und das entspricht genau 100 L/mm.
Das heißt, auch: die alten Optiken, deren Auflösungswerte bei Offenblende am Rand hier sehr schwach aussehen (Ernostar, Angénieux, Contarex Sonnar), sind damit in der Praxis normaler Bild-Fotografie schon sehr gut.
Aktualisiert am 07. Januar 2021 (Agfa SLRs und Mecaflex Seroa)
Aktualisiert am 24. Januar 2021 (Edixa Reflex und Edixa Electronica)
Aktualisiert am 19. August 2022 (Wrayflex und Yashica TL-Super, Cosina)
Aktualisiert am 27. August 2022 (Rolleiflex SL35, 2000 F, 3003)
Aktualisiert am 20. Februar 2023 (die beiden französischen SLR-Kameras Alsaflex unf Savoyflex)
Diese Zusammenstellung von Daten und Fakten wird sich auf die wesenlichen Innovations-Schritte bei „einäugigen“ KLEINBILD-Spiegelreflex-Kameras (Single-Lens-Reflex SLR for 35mm Film) beschränken und zeitlich meist bis zum Beginn des Autofokus-Zeitalters (1990/92) reichen. Die Anfänge der Mittelformat-SLR werden erwähnt werden.
Die Chronologie ist so geordnet, dass jede besprochene Modellreihe (unabhängig vom Hersteller) zeitlich in der Reihenfolge erscheint, in der die erste Kamera der Baureihe erschien. Die Folgemodelle erscheinen dann danach in demselben Kapitel auch wenn sich die Weiterentwicklung über Jahrzehnte hinzieht.
Die Kapitel sind jetzt nicht nummeriert: Ich bereite ein Inhaltsverzeichnis vor, von dem aus man per Stichwort in das Kapitel springen soll – hoffe, dass das bald funktionieren wird. Die Kapitelüberschriften sind blau und unterstrichen formatiert.
Die (wenigen) Bilder zeigen ausschließlich meine eigenen Oldtimer – ich wollte mich nicht mit vielen fremden Bildrechten herumschlagen. Außerdem hätten zu viele Bilder der Übersichtlichkeit eher geschadet. Die meisten Daten und Fakten sind sorgfältig überprüft – wenn Sie meinen, einen Fehler zu entdecken, benutzen Sie bitte die Kommentar-Funktion.
Kameras mit „Handelsmarken“ wie Hanimex, Porst, Revue etc. werde ich hier nicht behandeln. Sie stammen ursprünglich von einigen der hier behandelten Herstellern, besonders aus Dresden, Russland oder Japan.
Historisch interessierte Menschen leben mit dem Internet heute in paradiesischen Zeiten: über fast jeden auch noch so kleinen Schritt in der technischen Entwicklung hat irgend ein Spezialist in einer Web-Site Kunde abgelegt. Für die an Fotogeräten interessierten kommt der glückliche Umstand hinzu, dass seit 2009 etwa nach und nach noch einige sehr kundige Experten der ehemaligen DDR-Optik-und-Foto-Industrie vieles dokumentiert haben. Ohne diese Kenntnisse wäre jede Geschichte der Spiegelreflex-Technik sehr unvollständig, da ja die Ur-Wiege der Spiegelreflex-Kamera in Dresden und Umgebung lag.
Wandert man heute durch das Internet, so kann man sich viele Details und Zusammenhänge auch noch in verschiedenen Quellen zusammen suchen und damit ein einigermaßen vollständiges Bild machen. Es ist dann auch ratsam, mehrere Quellen zu befragen, da Fehlinformationen, Fehlurteile und Legenden oft ein zähes Leben haben…
Ich persönlich bin ja auch ein Zeitzeuge dieser technischen Entwicklung als Nutzer der Foto-Geräte seit kurz nach dem 2. Weltkrieg – aber gerade zu dieser Zeit lagen viele Vorgänge im dieser Industrie im Osten Deutschlands für uns im Halbdunkel hinter dem eisernen Vorhang. Es waren mehr Gerüchte und Legenden im Umlauf als Tatsachenwissen. Auch waren die DDR-Offiziellen nicht daran interessiert, dass wir hinter die Kulissen blicken konnten. Wir wussten mehr über die japanische Kamera-Industrie als über die in der DDR, auch wenn wir deren Produkte kauften und nutzten.
Auch im Internet kostet diese Art Recherche immer noch eine Menge Zeit. Ich selbst musste mir ein verlässliches historisches Grundraster in Verbindung mit meiner Beschäftigung mit historischer Foto-Optik verschaffen und schreibe nun das Ergebnis hier in sehr geraffter Form – nach besten Wissensstand von 2019 auf. So kann ich es auch selbst immer wieder nachlesen, wenn eines Tages mal der Gedächtnis-Lochfraß einsetzen würde (bzw. unweigerlich wird…).
Der 2. Weltkrieg und die Foto-Optik-Industrie:
Wie sehr viele grundlegende optisch-fotografische Entwicklungen, die noch heute für uns Bedeutung haben, liegt auch das Erscheinen der Spiegelreflex-Kamera (angelsächsisch SLR = Single Lens Reflex) sehr kurz vor dem 2. Weltkrieg. Nur wenige Jahre später wurde der Krieg vom Zaun gebrochen – was zur Folge hatte, dass die zivile optische Forschung und Fertigung weltweit bald völlig zum Erliegen kam, und in den zerstörten, Not leidenden Ländern (ja, auch in Japan lag die Zivil-Wirtschft nach dem Krieg völlig am Boden!) in den ersten Nachkriegsjahren erst einmal wieder aufgebaut werden musste. Dadurch entstand eine Lücke von 1939 – 1949 in der zivilen Foto-Optik und Kamera-Technik. Es gab nur wenige Ausnahmen. Bolsky entwickelte ab 1939 die ALPA SLR-Kamera in der Schweiz und brachte sie noch 1944 auf den Markt. Heinz Kilfit, der Erfinder der Robot-Kamera, wich nach Vaduz aus wo er dann seine legendären Optiken entwickelte. Und Pierre Angénieux, zog sich nach nach Südfrankreich in die unbesetzte Zone azurück und bereitete während des Krieges seinen ganz großen optischen Coup vor.
Genauer gesagt: hier resumiere ich die Entwicklung der
EINÄUGIGEN Kleinbild-Spiegelreflex-Kamera.
Unter den Gesamtbegriff SLR würden selbstverständlich auch die Hasselblad, Praktisix/Pentacon Six, Pentax 67 und Co. auch fallen. Sie erscheinen nach dem 2. Weltkrieg auf der Bildfläche und ich werde den Anfang kurz einordnen.
Die Kleinbildkamera, basierend auf dem 35mm-Kinofilm-Format, musste voran gehen, um den Boden zu bereiten – Oskar Barnacks Leica erschien 1925 auf der Bühne, ein Schritt, der durch den 1. Weltkrieg und die nachfolgenden staatlichen und wirtschaftlichen Turbulenzen verzögert worden war. Der Reportage-Photo-Journalismus, für den sich die KB-Kamera sehr schnell als ideal erwies, war da schon vorher von Dr. Erich Salomon mit der Ermanox-Plattenkamera erfunden worden (4,5x6cm – 6x9cm !). Auch nach der Leica dauerte es noch über zehn Jahre, bis eine Spiegelreflex-Kamera in Serie gefertigt wurde, sie kam in Barnack’s Sterbejahr heraus:
1933/36 – Kine-Exakta, Hersteller IHAGEE-Kamerawerk, Dresden; Konstrukteur: Karl Nüchterlein (1904-1945 als Soldat vermisst)
Die Ur-Exakta hatte einen fest eingebauten Lichtschacht.
Nach dem Weltkrieg wurd die Fertigung in Dresden ab 1948/49 mit einer verbesserten Ekakta II wieder aufgenommen – mit unverändertem Exakta-Bajonett, ab 1950 erhielt die Kamera dann endgültig als Exakta Varex (VX) das Sucher-Wechselsystem, an dessen Konstruktion bereits Nüchterlein vor seiner Einberufung als Soldat gearbeitet haben soll. Ich selbst war ab 1967 ein sehr glücklicher Exakta Varex IIb-Besitzer/Nutzer. Die hatte ab 1967 auch einen Rückschwing-Spiegel. Aus Dresden gab es dann schon die Exakta Varex 1000, mit der die Exakta-Geschichte schließlich 1970 endete.
Danach gab es tatsächlich bis 1973 noch eine EXAKTA RTL 1000, die eine Practica L mit Exakta-Bajonett und Wechselsucher ist, für die es einen TTL-Prismenaufsatz nach Nikon-Art gab.
Insgesamt wurden ab 1949 bis 1973 unter dem Namen Exakta/Elbaflex ca. 564.000 Kameras gebaut (Quelle: www.dresner-kameras.de).
Die Varex hatte eine Film-Schneidevorrichtung im Gehäuse, mit der man teilbelichtete Filme abtrennen konnte, die man dann aber in der Dunkelkammer (oder im sog. lichtdichten „Wechselsack“) herausnehmen musste.
Einige Zeit war es wohl umstritten, ob die Gelveta/Sport nicht doch die erste Spiegelreflex-Kamera war. Mitlerweile ist diese Datierung wohl sicher.
Einschub: Das SLR-Mittelformat
ca. 1936 – entsteht im Sächsischen „Kamera-Valley“ kurz nach der Kine-Exakta auch die Mittelformat-SLR,
zunächst generell im Format 6×6 (56mm x 56mm). 1939 gibt es bereits die Beier-Flex, die Exakta 6×6, die Primarflex und die Reflex-Korelle. Aus letzterer entstand nach dem Krieg für kurze Zeit ab 1947 die Meister-Korelle, die quasi der Vorläufer der Praktisix (1954) ist (Neukonstruktion unter Siegfried Böhm) und auch als Pentacon Six und Exakta 66 extrem erfolgreich war.
Victor Hasselblad stellt im Jahr 1948 seine Kamera mit Schlitzverschluss vor (Hasselblad 1600F/1000F). Bald geht er zum Zentralverschluss im Objektiv über: die legendäre Hasselblad 500 – Baureihe. Später folgen die Hasselblad 2000er und 200er Serien.Die Kameras haben rückseitig Film-Wechselkassetten.
Später folgen viele andere Hersteller mit SLR für die Formate 6×6, 6×4,5 und 6×7:
Pentax 67 und 645, Contax 645, Mamiya 67, Bronica, Rolleiflex SL66 bis Rolleiflex SLX etc.
Das Mittelformat ist nicht das Thema dieser Zusammenstellung.
1938/39 – Praktiflex – Hersteller: ab 1938 Kamera-Werkstätten Guthe & Thorsch, Niedersedlitz; Konstrukteure: Benno Thorsch und Charles A.Noble (?) – 1938 Arisierung: ab dann Kamerawerkstätten Charles A. Noble – ab 1948 VEB Kamerawerke Niedersedlitz (KW-Logo).
Erste Kleinbild-SLR mit Rückschwingspiegel. Objektivanschluss: M40-Gewinde. Wiederaufnahme 1947 (M42 Gewinde – ab 1948/49) – wurde 1951 zugunsten der Prakticaeingestellt.
1944 – Alpa-Reflex (Modell C) – Hersteller: Pignons S.A., Ballaigues, Schweiz; Konstrukteur : Jacques Bolsky/Bolsey/Jacov Bogopolsky (1895-1962) – später Erfinder der Bolex-Filmkameras in USA. 1964 mit der Alpa 9d eine der aller-ersten SLR mit TTL-Belichtungsmessung (CdS-Zelle hinter dem Spiegel mit Schlitzen). Ab der unten abgebildeten Alpa 10d mit fest eingebautem Prisma (4. Generation). Einige Modelle wurden auch für Halbformat ausgerüstet geliefert (z.B. die 10 s).
(Entwickelt ab 1939) – ab 1949 mit Pentaprisma (Alpa-Prisma-Reflex) – Prisma zunächst wechselbar. KB-SLR mit kürzestem Auflagemaß aller Kleinbild SLR! (37,8mm – gegenüber durchschnittlich 45 mm bei den meisten anderen Kleinbild-SLRs). Dadurch konnte Angénieux sehr früh für die Alpa ein 35 mm-Weitwinkelobjektiv anbieten, ohne auf das Retrofocus-Prinzip zurück zu greifen! Sonst ist mir das nur noch von der Wrayflex bekannt.
Entwicklung und Produktion eingestellt 1990. Es sollen in diesen 45 Jahren gut 50.000 Alpa-SLR-Kameras gebaut worden sein (das ist Manufaktur! – Spitzenjahr soll 1965 mit 1.300 Kameras gewesen sein…).
Hinweis: Immer wieder sehe ich, dass Anbieter auf Ebay ihre Exakta-Objektive mit dem Zusatz anbieten, sie seien auch für Alpa verwendbar. Ich denke mir, dass das durch das Erscheinungsbild mit dem Ausleger für die Springblende verursacht wird (über den der frontseitige Auslöser betätigt wird) – ähnlich wie bei der Exakta. Die Objektiv-Anschlüsse könnten allerdings nicht verschiedener sein: 1. das Bajonett hat eine völlig unterschiedliche Geometrie, 2. Das Auflagemass ist bei Alpa 37,8mm, bei Exakta 44,5mm, 3. der Springblenden-„Ausleger“ befindet sich auf der entgegengesetzten Seite!
Erste SLR mit Pentaprisma (fest verbaut). Großes Objektiv-Bajonett. Einzige je in Italien gebaute SLR. Wurde 1958 eingestellt (nach einem Intermezzo in Liechtenstein nach 1956, woraus wohl nie eine Kamera verkauft werden konnte…). Es sollen ca. 7.000 Exemplare gebaut worden sein.
1948 Praktica – Hersteller: Kamerawerke Niedersedlitz (1948-1960; ab 1960: Pentacon, Dresden). Ab 1959 mit fest eingebautem Pentaprisma. Pentacon baute bis 1990 Praktica-SLR-Kameras. Ab 1948 mit M42x1 Objektiv-Gewinde.
1968 wurde noch einmal der Versuch gemacht, eine Profi-SLR auf den Markt zu bringen: das Ergebnis war die ungewöhnlich massive Pentacon Super (1968-1972, ca. 4.500 Kameras gebaut), Konstrukteur war Horst Strehle. In der Geschichte dieses Modells wird das Problem der DDR-Wirtschaft exemplarisch sichtbar (und das sollte weiter anhalten!): die Patente für Verschluß und TTL-System stammten von 1961/62 – die Kamera konnte aber erst 1968 ausgeliefert werden – da hatten die potentiellen Kunden sich weitgehend verlaufen (zur Konkurrenz in Japan) und die Kamera war praktisch schon wieder veraltet.
Sie hatte ein Wechselsuchersystem, aber nur mit dem TTL-Prisma ein gekuppeltes TTL-Belichtungsmeßsystem. Objektivanschluß M42 Gewinde. In Verbindung mit dieser Kamera kam auch das Pancolar 55mm f1.4 heraus, bei dem (einmalig) der Schritt zu den leicht radioaktiven Thorium Gläsern gemacht wurd, weshalb diese Optiken heute im allgemeinen gelblich verfärbt und damit eingedunkelt sind – es sei denn, man hätte sie zwischendurch mittelkurzer UV-Strahlung oder dem direkten Sonnenlich längere Zeit ausgesetzt.
Ab 1978/79 wurden die Kameras mit PB-Bajonett ausgestattet. Es sollen insgesamt ca. 9 Millionen Praktica/Pentacon-Kameras in vier Generationen hergestellt worden sein! 1991 kam das Ende des Unternehmens Pentacon.
1949 – Duflex – Hersteller: Gamma Werke/MOM-Kamerawerke, Ungarn; Konstrukteur: Jenó Dulovits (Ungarn, 1903-1972). Allererste Kamera mit fest eingebautem, seitenrichtigem Suchereinblick mittels Porrospiegelsucher, Rückschwingspiegel und Metallschlitzverschluss und Automatik-Blende – Format 24×32 mm. Die Kamera hatte zusätzlich noch einen normalen Sucher mit eingespiegelten Brennweiten-Rahmen.
Die Kamera kam nach fast 10 Jahren Vorarbeiten, Patentierung, Marktforschung und Prototypenbau (ab 1944) auf den Markt (1949) – wurde aber in nur 600 Exemplaren bis 1950 gebaut. Der Grund für das plötzliche Ende ist nicht offiziell bekannt. Der Autor Ian Platt hatte wohl im Jahr 2005 die Gelegenheit, in Budapest selbst der Sache auf den Grund zu gehen – aber auch er konnte nur die (wahrscheinlich zutreffende) Vermutung erarbeiten, dass von den kommunistischen Parteien (UdSSR und Ungarn) bei der Organisation der Nachkriegswirtschaft der neu entstandenen Kameraindustrie in der DDR (Dresden) und in der UdSSR der Vorzug gegeben wurde (Export brachte Devisen!) und die ungarische Firma zur Einstellung der Fertigung geszwungen wurde – eine Kamera, die den anderen 10 Jahre voraus war, wurde „eingestampft“ – das Know-How aber auch nicht intelligent transferiert und genutzt (vmtl. „not-invented-here-Effekt“…), was die Ineffizienz der staatlich gelenkten Wirtschaft wieder einmal beleuchtet.
1949 – Contax S – Hersteller: VEB Zeiss Ikon, Dresden; Konstrukteure: Wilhelm Winzenburg und Walter Hennig. Ab 1958 unter Pentacon F.
Mit fest eingebautem Pentaprisma. Sie wurde lange Zeit für die erste SLR mit seitenrichtigem Suchereinblick (Pentaprisma) gehalten – bis die Informationen über die italienische „Rectaflex“ (s.o.) abgesichert wurden. M42-Objektivanschluss. Konstruktions-Vorarbeiten fanden schon von 1938 – 1941 statt (man fing an, die IHAGEE-Produkte Ernst zu nehmen….). Nach dem Krieg aber war völlige Neukonstruktion erforderlich.
1951 – Wrayflex Ia – Hersteller: WRAY Optical Works, London. Bildformat 24 x 32 mm! Ausstattung: Sucherprima aus 2 Spiegeln (seitenverkehrtes Sucherbild!), Filmtransporthebel im Boden – gekuppelt mit Verschlußaufzug. Objektiv-Anschluss Gewinde 41,2 x 26 tpi. Sehr kurzes Auflagemaß (42,05 mm lt. F. Mechelhoff) – da sich der Spiegel beim Schwenken gleichzeitig nach hinten bewegt und so die Kollision mit der Objektiv-Rückseite vermeidet (ähnlich ALPA!) – daher ist ein 35mm-Weitwinkel OHNE Retrofocus-Konstruktion möglich! (Das hatte Pierre Angénieux ja auch bei der Alpa hinbekommen!)
Eigene Objektiv-Entwicklung und Herstellung (Wray war bereits Hersteller hochwertiger Vergrößerungsoptiken gewesen). Optik-Designer: Charles Wynne (ehem. bei Taylor, Taylor & Hobson).
Hochwertige SLR, kompakt und leicht! Einzige Kamera der Firma. Wurde bis 1961 nur in GB vertrieben – danach anscheinend Niedergang, da internat. preislich nicht wettbewerbsfähig. Nur einige hundert Kameras p.a. hergestellt. Firma wurde 1971 geschlossen.
1952 – Praktina – Hersteller: „KW“ Kamerawerke Niedersedlitz, DDR ; Konstrukteur (verantwortl.) Siegfried Böhm (später auch Konstr. der Praktisix!).
Wechselsuchersystem und sehr großes Objektiv-Bajonett! Die Kamera war so ausgelegt, dass um sie herum ein vollständiges, professionelles System gebaut werden konnte – und auch wurde! Ab 1958 auch unter dem Dach der VEB Kamera- und Kinowerke Dresden (Pentacon) wurde die Praktina zugunsten der einfacheren und billiger herzustellenden Praktica-Baureihe 1961 eingestellt.
1952 – Zenit – Hersteller: Krasnogorsky Zavod (KMZ), UdSSR. Zenit-SLR haben meist fest eingebautes Prisma. Die erste Kamera wurde aus der Zorki (M39-Sucherkamera) abgeleitet. Es sollen von 1961 – 1981 über 8 Millionen SLR-Kameras der Zenit-Baureihe geliefert worden sein – z.T. als OEM-Produkte (REVUE etc.). Noch heute werden analoge Zenit-SLR-Kameras gebaut.
1951/53 – Mecaflex – Hersteller: a) Metz, Fürth (1953 – ca. 2.500 Stck); b) SEROA (Benoist-Berthiot), Monaco (1958-1965 – ca. 1.000 Stck); Konstrukteur: Heinz Kilfitt.
Bildformat 24 mm x 24 mm – wie Kilfitt es in den 1930er Jahren auch bei RoBoT realisiert hatte!
Fest eingebauter Lichtschachtsucher, Sportsucher und spezieller Objektiv-Bajonett-Anschluss mit 6 Flügeln (funktional ähnlich Canon FD).
1953/54 Edixa Reflex(bis ca. 1970 / hieß 1953 zunächst Komet) – Hersteller: Gebr. Wirgin, Wiesbaden, Deutschland (ab 1968: Edixa GmbH – bis 1973) – Konstrukteur: Heinz Waaske. Wechselsucher, Schlitzverschluss und M42-Objektiv-Anschluß.
Es wurden bis 1972 ca. 280.000 Edixa-Reflex SLR geliefert.
Die Kamerawerke Gebrüder Wirgin wurden 1920 in Wiesbaden gegründet von Heinrich (Henry), Dr. Max, Joseph und Wolf Wirgin. 1938 Zwangsverkauf an Dr. Schleußner („Arisierung“) – Emigration nach USA. 1945 Rückgabe des Werkes an Henry Wirgin. 1948 Wiederaufnahme der Produktion.
1960 Edixa-Mat Reflex mit Rückschwingspiegel.
1965/66 Edixa-rex d und Edixa-rex TTL mit eigenem Bajonett-Abschluß (Verkauf bricht ein).
1968 Edixa Prismat LTL wieder mit M42-Anschluss. Letzte SLR der Waaske-Aera bei Wirgin.
1962 Edixa Electronica (bereits 1960 auf der Photokina vorgestellt und damals erste vollautomatische SLR!) – Blenden-Vollautomat mit Compurverschluß und fest eingebautem Prisma (Selen-Belichtungsmesser und motorische Blendenverstellung) – ca. 4.100 Stück gebaut.
1965 – Heinz Waaske verlässt Fa. Wirgin, wo er seit 1948 angestellt war, und geht zu Rollei.
1968 gibt Henry Wirgin auf – Insolvenz -Vergleich 1971.
1971 mit der Edixa Electronica TL – bringt die Edixa GmbH noch einmal eine Neukonstruktion auf den Markt (CdS-TTL-Ganzfeldmessung, elektronischer Schlitzverschluß, festes Prisma). Kurzlebig: Abverkauf bis 1972/73.
1953 – Contaflex – Hersteller Zeiss Ikon, Stuttgart; SLR mit fest eingebautem Prisma und Zentralverschluss im fest eingebauten Objektiv – ab Contaflex III vorderer Objektivteil wechselbar (Pro-Tessare)!
Anfangs (Contaflex I + II) mit Tessar 45mm f2.8. Ab 1956 waren die Objektiv-Vorderteile des neuen Tessar 50mm f2.8 wechselbar (Pro-Tessare). Ab 1958 mit Schnellspannhebel – aber bis zum Ende der Baureihe 1971 ohne Rückschwingspiegel, trotz einer sehr großen Zahl von Modellen! Je nach Modell, gab es ab 1959 oder 1962 einen gekuppelten Belichtungsmesser (Selen) und ab 1962 eine Blendenautomatik (und Zeiss spendierte ein verbessertes Tessar). Seitdem gab es auch Wechsel-Filmkassetten zur Contaflex.
vor 1955 – Alsaflex – Hersteller: Alsaphot, Frankreich, Bild-Format 24mm x 24mm. (Die Kameraherstellung wurde 1970 eingestellt.) Sehr interessante Kamera mit Wechselobjektiven (eigenes Bajonett) – Objektiv-Standarte konnte vertikal nach oben verschoben werden (Paralaxenausgleich!). (Weitere Informationen bei kamera-wiki.org.)
1957 – Retina Reflex – Hersteller: Kodak-Kamerawerk in Stuttgart, BRD, das Kodak 1931 von Dr. Nagel erworben hatte und das seit 1934 Retina Kleinbildkameras baute, nachdem Kodak im selben Jahr den KB-Film in der 135er-Patrone eingeführt hatte. Kodak USA wurde 1882 zur Herstellung von Rollfilmen gegründet und baute ab 1888 Kameras.
Retina Reflex war eine SLR mit fest eingebautem Prisma, Objektiv-Wechselbajonett (Wechsel des gesamten Objektivs!) und Zentralverschluß (Synchro Compur). Vier Modelle – letztes Retina Reflex IV ab 1964 bis 1969. Sehr hochwertig, aber kompliziert und schwer.
Ab 1991 bot Kodak als erster Hersteller eine autonome D-SLR-Kamera an (DCS 100) basierend auf Canon- später Nikon-Serienmodellen. Ein besonderes Highlight war ab 2002 die DCS Pro 14n (14 MP) mit Nikon-Bajonett.
2012 ging die Firma Kodak in USA in Insolvenz – aus Teilbereichen wurden Nachfolgefirmen gegründet – auch der Markenname hat überlebt.
1958 – AGFA Colorflex/Ambiflex/Selectaflex – Hersteller: Agfa Camerawerk, München, BRD, das Agfa 1921 von Heinrich Rietzschel erworben hatte und das Kameras, Verschlüsse und Objektive baute. 1952 wurden UCA GmbH, 1959 Iloca-Werke und 1969 Staeble übernommen. 1983 wurde die gesamte Kamerafertigung aufgegeben.
1958 – Agfa Colorflex I mit Lichtschacht/Prisma wechselbar Colorflex II mit fest eingebautem Prisma und beide mit festeingebauter Optik (Agfa-Apotar 50mm f2.8).
1959 – Agfa Ambiflex – wie Colorflex II aber mit Wechseloptik.
1963 – Agfa Selectaflex – Eigenentwicklung Top-Systemkamera mit fest eingebautem Prisma und Wechseloptik. Selenzelle, Programmautomatik. Misserfolg und 1967 wieder aufgegeben.
1980 – Agfa Selectronic 1/2/3 – eine von Chinon zugekaufte SLR (Chinon CM4/CA4/CE). Ich erwähne sie hier nur deshalb, weil Agfa diese Kamera in einem eigenen Design (von Schlagheck-Schulte-Design) in Japan herstellen ließ. Ein wirklich gutes, wertiges Design – aber im Inneren war es eine „Me-too“-Kamera aus Japan, die technisch identisch von den Versandkaufhäusern billiger angeboten wurde! Außerdem hatte sie den großflächig-knallroten Agfa-„Sensor-Auslöser“, den auch die anderen Agfa Point-and-shoot-Kameras hatten. Ich hielt das damals nicht für gutes Marketing. Bis 1982 versuchte Agfa eine Preisbindung durchzusetzen, was 1982 endete – und 1983 wurden die letzten Kameras abverkauft.
1958 – Zunow – Hersteller: Zunow Optical Industry Co. Ltd, Japan ; Gründer der Firma 1930 – als Teikoku Kogaku Kenkyujo: Suzuki Sakuta.
Ambitionierte SLR mit Wechsel-Pentaprisma und Schlitzverschluss, Automatik-Blende, Rückschwingspiegel und Objektiv-Bajonett. Wahrscheinlich neben der Duflex die am kürzesten gebaute SLR der Kamerageschichte. Extrem wenige Kameras wurden gebaut (Fertigungs-Rate: 8 pro Tag!). Die meisten SLR-Kameras sollen unzuverlässig und sehr reparaturanfällig gewesen sein (lt. L. Paracampo)!
Schon 1960 wurde die Firma, die große Optik-Kunden im Cine-Bereich hatte (Neoca und Arco), durch Kunden-Konkurse in die Insolvenz gerissen und wurde am 1.1.1961 geschlossen.
Die Firma war und ist berühmt durch die frühen, extrem lichtstarken Optiken wie das Zunow 50mm f1.1 (Designer: Hamano Michisaburo) – das zuerst für RF-Kameras wie Leica, Contax, Nikon geliefert wurde. Prototypen ab 1950, ausgeliefert wurde das Objektiv ab 1953.
Die Zunow-SLR wurde auch mit einem 50mm f1.1 als Normalobjektiv ausgeliefert. Weitere Lichtstarke Optiken der Firma waren: 35mm f1.5, 35mm f1.7, 100mm f2.0. Ein 75mm f1.0 wurde wohl konstruiert – aber nicht gefertigt…
Die erste Normaloptik 50mm f1.8 für die erste Miranda-SLR-Kamera (Orion) kam von Zunow.
1958 – Savoyflex – Hersteller: Royer, Frankreich; Hergestellt bis 1963. Fest eingebautes Objektiv 50mm f/2.8 (SOM Berthiot) mit Zentralverschluss + drei Objektiv-Vorsätze (Makro, 35mm, 85mm) – Selenbelichtungsmesser. Fünf Modelle.
Merkmale ähnlich Exakta, wechselbarer Sucher, Tuchschlitzverschluss aber Objektiv-Bajonett ähnlich (nicht gleich) Praktina. Film-Schneide-Vorrichtung im Gehäuse.
1958 – Bessamatic – Hersteller: Voigtländer; eine SLR mit Zentralverschluss-Wechselobjektiven und gekuppeltem Belichtungsmesser (manuelle Nachführung) und bereits mit Schnellspannhebel – Objektiv-Anschluß mit Deckel-Bajonett (DKL) leicht modif. zum Retina-Bajonett. Bis zum Ende der Baureihe kein Rückschwingspiegel!
1961 als Spitzenmodell die Ultramatic cs mit Belichtungsautomatik mittels TTL-CdS-Zellen – mit siebenlinsigem „Septon 50mm f2.0“ – eingestellt 1965 (es wird berichtet, dass der Spiegel-Rückschwingmechanismus vorgesehen war – aber nicht zuverlässig funktionierte – und dann einfach weggelassen wurde…)
1962 daneben Bessamatic deLuxe (eingespiegelte Zeiten und Blenden), Bessamatic m ab 1964 (rein mechanisch), ab 1966Bessamatic cs: TTL-Belichtungsmessung mit CdS-Zelle. Ende der Baureihe 1969.
1959 – 1966 – Contarex („Contarex I“/“Bull’s Eye“/“Cyclops“) mit fest eingebautem Prisma und gekuppeltem Selen-Belichtungsmesser. Es gab sofort 10 Wechselobjektive – später bis zu 18 Brennweiten und profess. Zubehör, Motorantrieb und Wechselkassetten.
1960 – 1963 Contarex Spezial mit Wechselsuchersystem.
1966 – 1967 – Contarex Professional: neues Gehäuse mit fest eingebautem Prisma und Flash-Matic, rein mechanisch – ohne Belichtungsmessung.
ab 1967 – Contarex S – mit TTL-Belichtungsmessung (CdS-Zelle).
1968 – 1972 – Contarex SE – elektronischer Verschluss – soll die erste Kamera gewesen sein, bei der die Verschlußzeit stufenlos elektronisch gebildet wurde.
1966 – Icarex 35 – Hersteller Zeiss Ikon oder Voigtländer, Deutschland. SLR mit (erstes Modell) Wechselsucher – später festem Prisma, Schlitzverschluss und wieder einem anderen Bajonett-Anschluss für das Objektiv. 3 Modelle (35, 35S, 35CS) – plus drei weitere, identische mit dem Zusatz „TM„: Zeiss Ikon baut tatsächlich in einige seiner letzten SLRs ein M42-Gewinde ein! Dabei ist beim Erscheinen der Kamera selbst das Modell mit TTL-Belichtungsmessung (Icarex 35s, ab 1969 ) der Asahi Pentax gegenüber 5 Jahre im Rückstand.
Zwei weitere SLR-Modelle von Zeiss Ikon gehören eigentlich zur Icarex-Baureihe – werden aber unter anderem Namen vermarktet:
„Contaflex 126“ (1966, Instamatic-Film + TTL-Offenblendenmessung gekuppelt!) und als letztes Modell
„SL706“ (M42 und TTL-Offenblendenmessung) – es kam im Jahr 1972 heraus, wenige Monate, vor dem Ende:
1972 stellte Zeiss Ikon die gesamte Kleinbild-SLR-Sparte wegen wirtschaftlicher Erfolgslosigkeit ein! Da man das Geschäft mit den SLR-Objektiven nicht verlieren wollte, schloss man 1972 einen Kooperationsvertrag mit Yashica ab (nachdem Pentax abgesagt hatte). Yashica wurde 1983 von Kyocera übernommen. Als Ergebnis der Kooperation entstand die Contax RTS – siehe weiter unten ab 1974.
Diese erste von Rollei selbst konstruierte Kleinbild-SLR orientierte sich im Funktionsumfang weitgehend an der Pentax Spotmatic – sowie auch im Preisniveau. Objektive stammten von Zeiss und Schneider – nur Tamron „bespielte“ vorübergehend das QMB-Bajonett mit seinen 3rd-party-Objektiven. SL35 wurde gefolgt von der Rolleiflex SL 350 mit Offenblendenmesstechnik im Jahr 1974 (letzte „Made in Germany“!).
1976 wurde unvermittelt diese eigene Linie zugunsten der letzten (klobigen und unzuverlässigen) Zeiss-Ikon-Entwicklung (Zeiss Ikon SL 706) fallen gelassen. Diese SL 35 M wurde günstig in Singapur hergestellt – nun mit QMB-Bajonett. Es folgte eine SL 35 ME als Zeitautomat.
1981 wurde mitten in der unternehmerisch chaotischsten Zeit bei Rollei die hochkarätige 35mm-SLR Rolleiflex SL 2000 F auf den Markt gebracht! 1984 erfolgte eine weitere Aufwertung mit der Rolleiflex 3003. Die einzige Spiegel-Reflex Kamera mit zwei fest verbauten Suchersystemen und Film-Wechselmagazinen dieser Zeit. Der wirtschaftliche Erfolg blieb auch bei diesem letzten Aufbäumen aus: es wurden lt. Wikipedia ca. 15.000 Kameras der Linie SL 2000F und 3003 gebaut.
1994 wurde die SLR-Fertigung bei Rollei endgültig eingestellt. Die Kameras waren fast alle wirklich von Spitzen-Qualität – aber sie hatten im Markt dem Wettbewerb nie etwas voraus. Dadurch erhielt das deutsche Spitzenprodukt der Technik keine internationale Aufmerksamkeit. Deutsche Kamerabau-Kunst und „Me-Too-Produkte“ … das löste berechtigterweise nur Kopfschütteln aus. Die Einstellung der SLR-Produkte lag nicht zufällig am Anfang des bereits boomenden Autofocus-Zeitalters – da wäre es zum Nachziehen ja auch längst wieder zu spät gewesen.
Grundsätzlich ist zu sagen: alle SLR-Produkte von Rollei (auch die 6×6-SLR-Kameras!) kamen für den Markt und die Zielgruppe zu spät auf den Markt! 95% der Zielgruppe hatten sich dann bereits für die anderen großen (japanischen) Marken entschieden – ich auch! Ich bin dafür praktisch ein Paradebeispiel: Zunächst ein früher Contaflex-Nutzer, hatte ich ab 1966 eine Exakta Varex IIb und ab 1969 die Minolta SRT 101 – im Folgejahr kam die Rolleiflex SL35 heraus – ohne nennenswerte Vorzüge gegenüber der Minolta, die da schon 4 Jahre am Markt war. Gab es in der Firma wirklich niemanden, der Ahnung von Marketing hatte?
1974 – Contax RTS – Hersteller Yashica, ab 1983 Kyocera; Design F.A.Porsche. Kamerabajonett C/Y. Original-Objektive hierzu kamen von Carl Zeiss (BRD). SLR mit fest eingebautem Pentaprisma, und elektronisch kontrolliertem Metall-Schlitzverschluß, z.T. mit eingebautem Motor.
–> Kameraseitig ist dies EIGENTLICH ein Kapitel der japanischen Foto-Industrie!
Eine professionelle Systemkamera-Produkreihe entstand: Contax RTS, RTS II (1982), RTS III (1991) – diese letztere war aus meiner Sicht der absolute Höhepunkt der mechanischen Kamera-Baukunst (Verschlusszeit 1/8000 s): vor jeder Aufnahme wurde der Film mit Vakuum an die keramische Filmandruckplatte gezogen, damit sie absolut eben ist! (… wer das Verschluss- und Spiegelschlag- und Motorantriebs-Geräusch diesser Kamera hört, wird mir vielleicht Recht geben!). Dazwischen lagen weitere, etwas preiswertere, Modelle wie Contax 137MA, 159 MM, 167 MT. Gegen Ende der Ära die ContaxRX, RXII – und die AX, mit Autofocus-Funktion durch Verschieben der Filmbahn, wodurch die non-AF-Objektive mit Autofocus nutzbar wurden, wenn auch recht langsam… Auch fast am Ende die wunderschöne, kleine Contax Aria – im 60. Contax-Jubiläumsjahr zusammen mit dem neu gerechneten Tessar 45mm f2.8!
Die Zeiss-Objektive der Contax-RTS-Baureihe mit c/y-Bajonett sind Legende – zu Recht!
Kyocera stellte die Herstellung der SLR-Baureihen 2005 ein (Digital-Dämmerung?). Den Autofocus hatte man 2000 noch mit der Contx-N Baureihe eingeführt – 15 Jahre nach der ersten Minolta mit Autofokus… Die Preise für Contax-SLR lagen im oberen Profi-Segment – für manuell zu fokussierende Kameras. Da war der Zug in das Profi-Lager der Zukunft längst abgefahren als Zeiss/Kyocera mit Contax versuchten, da einzusteigen.
Es gab auch 2002 eine erste D-SLR „Contax N Digital“ – dies war die erste Vollformat D-SLR der Welt! Dieser Bolide (6 MP) hatte viele Probleme – wegen der vielen technischen Zicken nannten wir sie „die Diva“. Aber wenn alles gut ging hatte man großartige, rauscharme Ergebnisse, dank fabelhafter Zeiss-Objektive und Vollformat!
1960 – Focaflex – Hersteller OPL, gegründet 1919 in Lavallois, Frankreich (Kamerabau seit 1945 bis 1967) – fusionierte Später mit SOM. Die Kamera benutzt ein Spiegelsystem für den seitenrichtigen festeingebauten Sucher (ähnlich Olympus PenF ab 1963). Drei aufeinander folgende Modelle: Focaflex, Focaflex Automatique und Focaflex II. Einstellung der Herstellung 1967.
Meines Wissens ist dies die einzige SLR, die in Frankreich gebaut wurde – Details kenne ich nicht.
1964 – Leicaflex – Hersteller: Ernst Leitz Wetzlar, BRD; der Hersteller der klassischen Leica-Messucher-Kamera sah sich genötigt, dem Siegeszug der SLR weltweit technisch etwas entgegenzusetzen. Bei der Einführung fehlten der Leicaflex dann aber weitgehend alle innovativen Features der japanischen Konkurrenz – hauptsächlich die TTL-Belichtungsmessung. Die Zahl der passenden SLR-Objektiv-Brennweiten war sehr gering. Für ein Zoom griff man auf ein von Angénieux entwickeltes Modell zurück (45-90mm f2.8). Die (Offenblenden-Messung) wurde mit dem Modell Leicaflex SL 1968 eingeführt. 1974 gab es noch einmal eine geringfügige Auffrischung mit der Leicaflex SL2. 1976 wude die Modellreihe eingestellt und durch die inzwischen in Kooperation mit Minolta entwickelte Leica R-Baureihe ersetzt. Leitz hatte offensichtlich nicht die Kraft dies aus eigenen Resourcen zu tun.
Um die Fertigungskosten der Kameras zu senken, errichtete die Ernst Leitz Wetzlar bis 1973 ein neues Werk in Portugal.
1967/68 – Regula Reflex 2000 CTL – Hersteller: King&Bauser, Bad Liebenzell, Deutschland – Konstrukteur: Joseph Op de Beek. Mechanische SLR (1/2000 s) mit TTL-Belichtungsmessung. 1966 auf der Photokina vorgestellt – mit NikonF und M42-Anschluss. Letztlich wohl meistens mit M42 gebaut. Es gab 3 weitere Modelle. SLR-Fertigung bis ca. 1975 – geschätzt 4.500 Kameras.
Firma King wurde 1936 gegründet und zog 1938 nach Bad Liebenzell. Ab 1949 wurden Kameras produziert (bis 1984 sollen es lt. Wikipedia ca. 5 Millionen Kameras gewesen sein!). Ab 1960 wurden Blitzgeräte gebaut, die sehr bekannt und geschätzt waren. 1984 ging Regula-Werk King & Bauser in Konkurs. (Andeutungen auf Wikipedia lassen darauf schließen, dass hohe Investitionen in das – sorry: dämliche! – Photo-Disc-System von Kodak (Filmformat 8mm x 10,5 mm!!!) mit einer sehr unglücklichen Lizenz-Strategie seitens Kodak sich als Fehlinvestition erwiesen und mit Schuld an dem Konkurs hatten!)
1976 – Leica R3 – Hersteller: Ernst Leitz Wetzlar, BRD (ab 1986: Leica Camera AG) – jene in Zusammenarbeit mit Minolta entwickelte SLR mit fest eingebautem Prisma und elektronisch gesteuertem Metallamellen-Verschluß. Also endlich eine moderne SLR von Leitz Auch das nächste Modell Leica R4/R4s (ab 1980/83) wurde noch in Zusammenarbeit mit Minolta geschaffen. Außerdem übernahm Leitz mehrere Minolta Objektiv-Designs: 24mm f2.8, Fisheye 16mm f2.8, 35-70mm f3.5 und 70-210mm f4. Die Modelle Leica R5/R-E (ab 1986/90) bekamen zusätzlich TTL-Blitzsteuerung (die die Olympus OM-2 bereits seit 1975 besaß…). Fast 15 Jahre lang war die Leica R jetzt rein äußerlich fast unverändert – und in mancher Hinsicht technisch der japanischen Konkurrenz leider ca. 10 Jahre hinterher…
Leica R6/R7 wurden ab 1988/92 in einem völlig neuen Gehäuse gebaut, wobei die R6/R6.2 eine rein mechanische Kameras waren, die auch ohne Batterie funktionierten (Batterie diente nur zur Belichtungsmessung – wie bei Olympus OM-3Ti.). Die Kamera wurde gegenüber der R5 modernisiert und bekam Mikroprozessor-Steuerung.
Leica R8 (ab 1992-1997) und R9 (ab 1996) wurden als letzte SLR der Leica R-Baureihe bis 2009 hergestellt. Sie erhielten ein sehr modernes Design – aber waren immer noch MANUELL zu FOKUSSIEREN ! Ab 1996 gab es ein Digital-Rückteil-Modul (10 MP CCD-Sensor mit Brennweiten-Verlängerungs-Faktor von 1,37), das auch an der R8 verwendet werden konnte. Damit endete die Ära der SLR bei Leica Camera AG.
Die ab 2015 gelieferte Leica SL (Vollformat 24×36) ist eine spiegellose Digital-Systemkamera mit Adapter für die R-Objektive – nun MIT Autofokus…
Die Leica-R-Objektive haben – zu Recht! – einen Ruf wie Donnerhall – viele sind legendär geworden! Ich selbst schätzte am meisten die Summicron-Baureihe und die Apo-Elmarit- (Makro!) und Apo-Telyt-Optiken.
1970 – Rolleiflex SL 35 – Hersteller: Rollei, Singapur. Konstruktion bei Rollei in Braunschweig. Aber produktionsseitig ist dies eigentlich bereits ein Kapitel der asiatischen Fotoindustrie… SLR mit fest eingebautem Pentaprisma, Rollei QMB-Bajonett und Zeiss-Originalobjektiven.
Ein kurzes Intermezzo mit vier Modellen (35, 35ME, 35E SL350) bis 1983. Zum Schluss legte Rollei mit der SL2000 (1981-84) noch einmal ein SLR-Highlight im Stil der würfelförmigen 6×6-Mittelformat-SLRs auf: mit fest verbautem Lichtschacht und Prisma, Motor und Wechsel-Filmkasetten!
Und wo bleibt die japanische Foto-Industrie?
Man muss wissen, dass die japanische Industrie nach dem verlorenen 2.Weltkrieg wahrscheinlich noch wesentlich stärker am Boden lag als die deutsche. Deshalb ist es kein Wunder, dass diese Industrie auf diesem Gebiet spät startete, aber dann mit enormen Fleiß, geballter Innovationskraft und einem nationalen Qualitätskonzept (MITI)!
Das Versagen der deutschen Fotoindustrie wurde zunächst gerne damit beschönigt, dass die japanische Industrie die europäische mit „billigen Kopien“ unfair geschädigt habe. Ja, die „billigen Kopien“ der Leica gab es wirklich in Russland und Japan. Aber heute liegen die Fakten detailliert auf dem Tisch und es ist weitgehend Konsens, dass die deutsche Fotoindustrie nicht wegen billiger Leica- oder Contax-Kopien untergegangen ist – es sei denn, man bezeichnet eine technisch und designerisch fortschrittlichere japanische Kamera nur deswegen als „Leica-Kopie“, weil sie einen gekuppelten Entfernungsmesser und ein M39-Anschlußgewinde hat. Frank Mechelhoff hat in seinem Blog „klassik-kameras.de“ einmal sehr überzeugend nachgerechnet, dass eine japanische (Canon) Meßsucherkamera Anfang der 60er Jahre teurer war, als eine deutsche – und technisch fortschrittlicher! Und selbst die Objektiv-Designs waren oft fortschrittlicher!
Ich bin nicht kompetent, den Niedergang der deutschen Fotoindustrie in den 1960/70er Jahren zu beurteilen, aber mein Verdacht ist, dass eine Menge Überheblichkeit und Ignoranz im Spiel war.
Die japanische Industrie erschien mit einigen Jahren Verzögerung nach dem 2. Weltkrieg in der SLR-Technologie auf dem Markt, machte dann aber gleich ab den 1960er Jahren mit Innovationen auf sich aufmerksam. Da war die deutsche-europäische Geschichte der Spiegelreflex-Kamera schon fast zuende erzählt… mit Ausnahme der DDR-Indstrie – … und der Leica R, die noch lange gemütlich hinterher zuckelte.
1952 – Asahiflex I – Hersteller Asahi Optical Co; die 1948 wiedergegründete Optik-Firma, eursprünglich ein Brillenglas- und Foto-Objektiv-Hersteller. Erste japanische Spiegelreflex-Kamera. 1954 (Asahi IIB) mit Rückschwingspiegel, ab 1957 mit fest eingebautem Pentaprisma. 1957 kauft Asahi von der Dresdener VEB Zeiss Ikon den Markennamen „Pentax“ (gebildet aus Pentacon und Contax) – danach heißen die SLR-Kameras Asahi Pentax – später nur noch Pentax. Anfangs mit Objektiv-Gewinde M37 – ab 1957 wird auch das M42x1 Anschlussgewinde aus Dresden übernommen – für EIGENE Takumar-Foto-Objektive. Man erkennt hier welche Vorbild-Rolle zu diesem Zeitpunkt die Dresdener Kameratechnik NOCH hatte. Eine Zeiss-West-Spiegelreflexkamera gab es da noch gar nicht (und bald schon nicht mehr…). Heute heißt die Firma „RICOH“ – aber der Name Pentax ist für die SLR-Kameras geblieben.
1964 landete Asahi Pentax seinen legendären Innovations-Coup mit der TTL-Belichtungsmessung (durch das Objektiv): die Pentax Spotmatic – obwohl die früheste Serieneinführung der Belichtungsmessung durch das Objektiv ein Jahr früher durch Topcon erfolgt war (Topcon RE Super) – Asahi war wohl besser in der Vermarktung.
1971 folgte ein erneuter Innovations-Schub durch die TTL-Belichtungsautomatik und die Super-Multi-Coating (SMC) Objektiv-Beschichtungs-Technik. Dieser Schwung reicht zu einer sehr starken Marktstellung bis in die 80er Jahre. Zeiss Ikon (BRD) stellte ein Jahr später die Fertigung aller Kleinbildkameras ein).
1975 führte Pentax schließlich – zu spät – das K-Bajonett für die Objektive ein: der Stern sank nun langsam im Vergleich zu früheren Glanzzeiten. Nur Praktica (Pentacon, DDR) stellte noch später – 1979 – auf ein Bajonett um.
Ab 1987 erfolgte bei Pentax Umstellung auf Autofocus – Mitte der 00er-Jahre auf Digital. 2005 hat Pentax die Herstellung von analogen SLR eingestellt.
1955 – Miranda T – Hersteller: Orion Camera Co., ab 1957 Miranda Camara Co.; gegr. 1946/47 von zwei Luftfahrt-Ingenieuren: Ogihara Akira und Ōtsuka Shintarō (sie sind auch die Konstrukteure).
Erste japanische SLR mit wechselbarem Pentaprisma (öffentl. Prototyp 1953!). Sehr eigenwilliger Objektiv-Anschluss: Gewinde M44 + ein zusätzliches Außenbayonett. Ab 1969 auch Varianten mit M42. Die Objektive wurden zugekauft. 1967 Modell Sensorex mit TTL-Belichtungsmessung. 1971 Sensorex EE mit automatischer Belichtungssteuerung und neuen Wechselsuchern. 1975 folgte als letztes Modell die kompakte dx-3 mit fest eingeb. Prisma und elektronisch gesteuertem Verschluß. Im Laufe der 60er Jahre übernahm nach und nach AIC (Soligor) die Kontrolle über die Firma.
1976 Ende der Firma durch Insolvenz.
1957 – Topcon R – Hersteller: Tokyo Optical Company Nippon (Topcon), Japan; gegründet 1932 als Optische Werkstätten, Kameraherstellung ab 1937. Die erste SLR ist bereits eine Systemkamera mit Wechselsucher und Exakta-Objektiv-Bajonett und Schlitzverschluss. Bereits mit dem Modell Topcon R II wurde 1960 das Bajonett modernisiert und auf interne Blendenübertragung umgestellt, so dass der „Springblenden-Auslöse-Ausleger“ verschwand.
Erstaunlich war die hohe Innovationsrate bei Topcon – oft wurden im Jahresrhythmus neue Features auf den Markt gebracht – oft als weltweite Erst-Innovation – auch bei den Zentralverschluss-Kameras.
Mit dieser ersten Schlitzverschluss-SLR brachte Topcon auch sofort zwei Tele-Boliden herus: 13,5cm f2.0; 30cm f2.8 – das letztere kam damit rund 17 Jahre eher heraus bevor Canon sich traute dies zu machen (das FL-Fluorite von 1974). Das Topcor 30cm f2.8 konnte werbewirksam bei der Olympiade 1964 in Tokio eingesetzt werden! Die optische Qualität dieser Objektive ist ganz erstaunlich! Das 300mmf2.8 wurde bald reihenweise für Nikon-Anschluß umgerüstet. Um die Innovationskraft des Unternehmens einzuschätzen muss man wissen, dass dort bereits 1958 ein Prototyp eines Spiegelteles 1000mm f7 existierte, das aber nicht in Serie ging.
1959 – Topcon PR – mit dieser Baureihe, ähnlich der Zeiss IKON Contaflex III (Spiegelreflex mit Zentralverschluss, festes Prisma und fest eingebautes Objektiv und Wechsel der vorderen Objektiv-Hälften) schob Topcon schon nach 2 Jahren eine SLR-Type nach, der sie parallel bis zum Ende der Kamerafertigung 1981 auch treu bleiben würde: die SLR mit Zentralverschluss im Objektiv (Grundprinzip der Hasselblad 6×6 …) war auch bei Kleinbild-SLR in den 60er und 70er Jahren sehr populär. Auch ich bin mit der Contaflex II meines Vaters „zur SLR sozialisiert worden“!
Im Gegensatz zu Zeiss Ikon, die die Contaflex bis zum Ende (1971) OHNE Rückschwingspiegel baute, führte Topcon schon 1960 in beiden Kamera-Linien den Rückschwingspiegel ein!
Topcon machte aber schon 1963 einen weiteren Schritt: echte Wechselobjektive mit je einem eigenen Zentralverschluss. Die Zentralverschluss-SLR-Reihe wurde auch in kurzen Abständen aktualisiert und weltweit vertrieben: PR, PR II, SR, Wink-Mirror (1960), Wink-Mirror-S, Topcon Uni & Auto 100 bzw RE Auto, Unirex (1965), Unirex EE (1972), IC-1 Auto.
1963 – Topcon RE Super: weltweit erste SLR-Kamera mit TTL-Belichtungsmessung, ein Jahr VOR Pentax auf dem Markt. Ebenfalls Wechselsucher und Exakta-Bajonett – aber erweitert um Blendenfunktionen! Es war ein Paukenschlag – 1963/65 kam hier ein extrem umfangreiches Kamerasystem auf den Markt, mit einem vorher nie gesehenen Ojektiv-Brennweiten-Programm (Brennweiten noch in cm graviert!): 5,8cm f1.4; und weiterhin die beiden Highlights 13,5cm f2.0; 30cm f2.8; sowie die beiden exzelenten Retrofokusobjektive 2,5cm f3.5 und 2,0cm f4.
Die bereits 1957/59 und 1963/65 aufgelegten Objektive sind ALLE von ganz exquisiter optischer Qualität! Auch das Retrofokus-Weitwinkel 2,4cm f3.5 von 1963 ist selbst dem Zeiss-Distagon 25mm f2.8 zur Contarex von 1961 so haushoch überlegen, dass man es kaum fassen kann. Ich werde in Kürze über diese Ausnahme-Optiken detailliert berichten.
Schon Ende der 60er Jahre ließ die Innovationskraft des Unternehmens leider erkennbar nach.
1972/73 – Topcon Super D/DM wurden gebaut bis zum Ende der Kameraproduktion 1981.
Super D ist eigentlich noch die alte RE Super – Die Super DM ist stark überarbeitet im Sucher- und Motor-Winder-Bereich. Das letzte Spitzenmodell.
Ich bin weit davon entfernt, alle Topcon-Kamera-Modelle „entschlüsselt“ und eingeordnet zu haben. Insbesondere habe ich den Verdacht, dass die IC-1 Auto tatsächlich keine Zentralverschluss-Kamera ist, sondern die Unirex mit Schlitzverschluss („focal-plane“) und mit Beibehaltung des UV-Topcor-Bajonett-Anschlusses den UV-Objektiv-Besitzern eine Alternative bieten sollte. Ich habe das Thema Topcon ein bisschen ausführlicher behandelt, da es hierzulande sehr wenig bekannt ist. (Wer Japanisch kann, sollte mal in den Link http://www.topgabacho.jp/Topconclub/ schauen. Er enthält auf jeden Fall sehr viele gute Bilder!)
Topcon war in Europa präsent als ich studierte und dann jung im Beruf war. Ich träumte von ihr – für mich ist sie bis heute die schönste SLR je – und kaufte mir dann eine Minolta SR-T 101 … Warum diese herausragenden Kameras und Objektive dann so schnell wieder verschwanden, ist mir nicht bekannt. Im Jahr 2003 (40. Jubiläum?) legte Cosina noch einmal einen Nachbau des legendären „Auto-Topcor 5,8cm f1.4“ auf.
Firma Topcon ist heute Weltmarktführer bei Geodäsie-Geräten.
1959 – Canonflex – Hersteller: Canon, Tokio, Japan; gegr. 1937 als Kamerabauwerkstatt. Heute ist Canon der größte Kamerabauer der Welt.
Die Canonflex (3 Modelle bis 1964) hatte Wechselprisma, R-Bajonett-Objektivanschluss („breech-lock“), Schnellspannhebel und automatische Springblende und Rückschwingspiegel. Sie war sehr solide (Gehäuse über 900 gr) und hatte ein klares Design.
Man kann diese frühen Modelle, die einzelne Features der Nikon F voraus hatten, durchaus als Fehlstart gegenüber Nikon bezeichnen: einige Konstruktionsdetails standen dem Erfolg klar im wege (wie der Schnellspannhebel am Kameraboden – sehr ungünstig bei Arbeit auf dem Stativ – und es gab zu Beginn keine Weitwinkelobjektive!. Von den 3 Modellen mit R-Bajonett wurden bis 1964 gut 100.000 Kameras gebaut – während Nikon gleich mit der Nikon F bis 1974 über 850.000 (lt.Cameraquest) verkaufte.
Canon hatte nach Gründung zunächst die Objektive (für die Messsucherkameras) von Nikon zugekauft und hatte erst 1947 mit einer Objektiv-Fertigung begonnen (Serenar). Canon stellte die Messsucher-Kameras erst 1968 ein („das Beste“ kam quasi noch nach 1959, z.B. mit dem 50mm f0.95 an der Canon7 im Jahr 1961!) – während Nikon sich praktisch sofort voll auf die SLR konzentrierte.
1964 wurde mit der Canon F-Serie das FL/FD-Bajonett und das Schnelladesystem für den Kleinbildfilm eingeführt. Damit hatte Canon Tritt gefasst und wurde erfolgreich. Das wichtigste ist sicher das Profi-Modell F-1 (1971) mit den Folgevarianten F-1n (1976) und F-1 New (ab 1981 … bis mindestens 1988 gebaut). Alle Varianten waren mit Wechselsuchern (5 Modelle, 10 Einstellscheiben!) ausgestattet, die je nach Typ Nachführbelichtung, Zeitautomatik oder Blendenautonmatik ermöglichten. Es gab natürlich Motorantrieb, sensationell war das 1972 vorgestellte F-1 Highspeed mit Teildurchlässigem Spiegel und Motor, das 9 Bilder/sec schaffte. Canon tat alles, um den Vorsprung, den Nikon im Profi-Segment hatte, aufzuholen. Aber das dauerte noch – entscheidend wurde hier der Einstieg in das AF-Zeitalter! (ab 1987)
Die F-1 New wird als Canon-Profi-Modell erst von der EOS-1 im Jahr 1989 abgelöst!
Die Canon A-Serie für Amateur-Kameras wurde von 1976 – 1983 gebaut. Zwei Modelle ragen heraus: AE-1 (1976) war die erste SLR-Kamera mit Mikroprozessor-Steuerung, die A-1 die zweite SLR (nach Minolta XD-7) mit Zeit- und Blenden-Automatik.
Beobachtung: während Firma Canon im Profi-Segment Nikon hinterherjagte, trieb Minolta Canon im Amateur-Segment vor sich her! Die Tatsache, dass Canon BEIDE Herausforderungen parallel gemeistert hat, hat der Firma schließlich die heute bestehende Spitzenposition im Markt eingebracht.
Die bedeutende Rolle von Minolta im damligen Amateur-Segmentwird besonders daran deutlich als Minolta 1985 überraschend als erster Anbieter die auf den Amateurmarkt zielende Autofokus-Modellreihe 7000 AF/9000 AF heraus bringt: Canon bringt in aller Eile für zwei Jahre – vor der für 1987 geplanten AF-Baureihe EOS mit neuem EF-Bajonett – eine AF-Kamera in der T-Reihe (T-80) heraus für deren AF-Betrieb sie 3 spezielle mit AF-Motoren ausgestattete Objektive (mit FD-Bajonett!) Anbot. Auch Nikon hatte ja eilig eine solche „Zwischenlösung“ mit der Nikon F3 AF eingeschoben, ehe eine „echte“ AF-Kamera folgte (F-501 in 1986).
Beide konnten nicht verhindern, dass Minolta wegen des großen Erfolges seiner AF-Kamera-Reihe vorübergehend zum mengenmäßig größten SLR-Kamerahersteller wurde.
1983/84 – Canon T-50 und T-70 – mit fest eingebautem Prisma, eingebautem Filmtransport-Motor und weiterhin FD-Bajonett (bis 1989) – schließlich 1986 das Spitzenmodell T-90 im wegweisenden Design von Luigi Colani, das bis heute die Canon SLR-Spitzen-Modelle eindrucksvoll kennzeichnet.
1987 – Canon EOS-650: Die EOS-Baureihe läutet das „echte“ AF-Zeitalter ein, mit einem neuen, erheblich vergrößerten EF-Bajonett. Das Profi-Spitzenmodell EOS-1 kam 1989 auf den Markt. Nomenklatur der EOS-Reihe: EOS-N: Profi-Kameras (EOS-1/-3/-5); EOS-NN: gehobenes Amateursegment (EOS-10/-30/-33/-50); EOS-NNN: Amateur-Segment.
Ab jetzt spornen sich Canon und Nikon abwechselnd zu den jeweiligen technischen Innovationen im 5-Jahres Rhythmus an – was gut für den Kunden war und dazu führte, dass die Entscheidung, wer auf diesem Markt führend ist, sich ab jetzt nur zwischen Nikon und Canon entschied. Da konne nun niemand mehr mithalten. Ich entschied mich ca. 1990 ebenfalls für Canon (EOS-10).
Kameraseitig wurden erst im digitalen Zeitalter die Karten neu gemischt – was heute, 2020, wieder zu neuen, spannenden Konstellationen führt – aber mit Rückgang der Bedeutung der SLR verbunden ist.
Canon D-SLR:
Nach ersten Vorläufern 1995 bis 1998 in Zusammenarbeit mit Kodak (EOS-DCS3/DCS2000/DCS3000 – mit 2 oder 6 MP-Digitalrückteil an der EOS-1N) – startet Canon bereits 2000 mit ersten semiprofessionellen D-SLR (EOS D30) und setzt den Maßstab mit dem ersten professionellen Modell EOS D-1s Mark II mit Vollformat 24x36mm in 2004 (16,7 MP). Canon entwickelt und fertigt die Bild-Sensoren nun selbst. Auch hatte Canon bereits 2004 mit den 8,5 Bildern/sec (EOS D1 Mark II – 8,2 MP) eine Marke gesetzt, um ab jetzt Platzhirsch im digitalen SLR-Zeitalter zu bleiben. Im Jahr 2015 überspringt Canon die Schwelle von 50 MP – in einer semiprofessionellen D-SLR.
Die Bedeutung, die bei der Einführung des Autofokus die Fokussier-Geschwindigkeit hatte, übernimmt nun die Verarbeitungsgeschwindigkeit der riesigen Datenmengen als technologische Barriere in der D-SLR.
Die Kamera wird zu einem Hochleistungs-Computer – aber nicht nur bezüglich der Transfer- und Verarbeitungs-Geschwindigkeit der Daten (mit 8, 12 oder 16 bit), sondern immer mehr auch bezüglich der Sensorstruktur und der Algorithmen, die aus den elektrischen Impulsen ein „Bild“ machen – was ja schließlich das Ziel der ganzen Übung ist und bleibt!
Außer Canon und Nikon hat meines Wissens HEUTE (2020) nur noch Sony D-SLR im Programm mit der A900 (2008 – 25 MP) und der A99 II (2016 – 42 MP) – in Minolta-Nachfolge mit dem A-Mount.
Canon spiegellose digitale Systemkameras: ab 2015 hat Canon mit dem APS-C-Sensorformat spiegellose digitale Systemkameras (M-Baureihe) eingeführt – inzwischen (2019) mit bis zu 30 MP.
Erst 2018 bringt Canon mit der R-Baureihe (und neuem R-Bajonett wegen des kürzeren Auflagemaßes) eine spiegellose Systemkamera (im Format 24x36mm) auf den Markt – führt aber die D-SLR-Baureihen weiter.
Die SLR-Objektive im D-SLR-Zeitalter:
Es ist nicht selbstverständlich, dass die über ein Jahrhundert optimierten „Analog“-Objektive auch am Digital-Sensor ihre gewohnte Leitung entfalten können. Der Bildsensor ist kein Film – es liegen nun neue optische Elemente im Strahlengang: Anti-Aliasing-Filter, UV-Filter, die winzigen Linsen auf den Halbleiter-Elementen (Pixel). Das muss idealerweise bei der Berechnung der Optiken nun berücksichtigt werden – und hat nun auch 1-2 Jahrzehnte gebraucht, um Stand der Technik zu werden. In vielen Fällen ist das Anti-Aliasing-Filter schon weggefallen.
Manche analoge Objektive haben weiterhin uneingeschränkt ihren Dienst getan – andere überhaupt nicht, oder mit gewissen Einschränkungen. Sehr flache Einfallswinkel der Lichtstrahlen auf den Sensor gehen gar nicht und manchmal gibt es offensichtlich Reflexionen zwischen Baugruppen, die den Kontrast stark beeinträchtigen können. Bei meinen Untersuchungen von historischen Objetiven an Digital-Systemkameras habe ich festgestellt, dass dies nicht vorherzusagen ist. „Try-and-error“ ist hier angesagt! Aber dass ein 15mm-Hologon-Objektiv an einem Vollformatsensor nicht funktioniert, kann man vorhersehen…
1959 – Nikon F – Hersteller: Nippon Kogaku K. K. , seit 1988: K.K. Nikon (Nikon Corporation). Konstruktionsleiter: Fuketa. Mechanische SLR-Kamera mit festem Prisma und F-Bajonett-Objektiv-Anschluss. Das Basis-Bajonett ist geometrisch bis heute unverändert (vorwärts/rückwärts-kompatibel) – funktional erweitert 1977: AI-Typ, 1982: AI-S. Auch bei Einführung des Autofokus entschied sich Nikon doch, das (im Durchmesser relativ kleine) Grundbajonett beizubehalten im Sinne ununterbrochener Kompatibilität. Ich persönlich sehe in dieser Entscheidung (die mich damals schon sehr gewundert hatte) einen der Gründe dafür, dass Nikon die Spitzenstellung schließlich doch im Markt an Canon verlor.
Nippon Kogaku wurde 1917 aus drei miteinander fusionierten Gesellschaften des Mitsubishi-Konzerns in Tokio gegrümdet: aus Teilen eines Messinstrumente-Herstellers, einem Glas-Hersteller und einer optischen Werkstatt (Mikroskope etc.) – Nikon ist noch heute Bestandteil des Mitsubishi-Konzerns. Von Anfang an, hat Nikon eine eigene Glasherstellung gehab, was ein großer technologischer Vorteil ist. Seit 1925 stellt Nikon Foto-Objektive her (50 Mio. Objektive bis 2009!), die seit 1932 bis heute Nikkor heißen. Der Name Nikon für die Kameras wird seit 1946 verwendet.
Die Nikon F enthielt gleichzeitig ALLE neuen technischen Features, die bis dahin bei SLR bekannt waren – was sonst bei keiner anderen SLR zu dieser Zeit der Fall war. Sie hatte bereits wie alle F-Nikons, bis auf F6 , Wechselsucher. Darüberhinaus bot sie ERSTMALS ein Sucherbild mit 100%! Nenneswerte Mängel hatte sie nicht. Mit dieser Ausstattung nach dem Stand der Technik sprach sie Professionals an und konnte 12 Jahre (+2 Jahre Weiterbau…) erfolgreich am Markt gehalten werden: 850.000 Exempl. bis 1974 (lt. Cameraquest).
1971 -Nachfolger Nikon F2 war die letzte rein mechanische Nikon – modernisiert und als modularen professionellen System vervollständigt – auch sie bleieb 9 Jahre am Markt.
1980 kam die Nikon F3 auf den Markt – sie wurde bis 2002 gebaut (22 Jahre!) und überlebte sogar ihre Nachfolgerin! – auch in Varianten (wie vorübergehend als Nikon F3 AF – 1983). Es ist schlechthin DIE legendäre Profi-SLR der Analog- und Vor-AF-Zeit. Spätestens diese Kamera begründete den Status der Nikon-SLR als Profi-Werkzeug. Wesentlichste Änderung: die Belichtungsmeßzelle sitzt nicht mehr im Sucher, sondern nun in der Kamera hinter dem Spiegel.
1988 – Nikon F4 ist dann die erste vollwertige Nikon-Profi-SLR mit Autofokus – nach der Amateur-AF-Kamera F-501 von 1986. Gleichzeitig erschien 1988 die semi-Professionelle Nikon F-801. Auch bei der F4 gab es Varianten. Die Nikon F3 wurde 15 Jahre lang von den Profi-Fotografen weiter gekauft, die sich mit dem Autofokus nicht anfreunden wollten/konnten. Im Bereich der Belichtungsmessung bietet die F4 ein großes Bündel neuer Möglichkeiten.
Die zu geringe Autofokus-Geschwindigkeit bei der F4 kostete Nikon die Marktführerschaft im Profi-Segment, da Canon gleichzeitig mit der EOS-1 einen wesentlich schnelleren AF brachte (besonders wegen des Ultraschallantriebs der Objektive).
1996 wurde die F4 durch die legendäre Nikon F5 abgelöst, die zusammen mit Ultraschall-Fokusmotoren in den Objektiven wieder Marktanteile zurück holte. Sie gilt als Höhepunkt der Kamerabau-Technik des analogen SLR-Zeitalters. Auf der F5 basierten die Umbauten von Kodak zu den ersten professionellen D-SLRs 1999-2001 (z.B. DCS 760).
Nikon F6 wurde 2004 eher unerwartet zu Beginnd es digitalen Zeitalters noch vorgestellt und ist die einzige analoge Profi-Kamera, die noch heute (2020) gebaut wird (im Amateur-Sektor nimmt wohl Zenit aus Russland diese Rolle ein).
Nikon D-SLR:
Wie bei Canon, gab es zunächst mit Digitalrückteil von Kodak modifizierte Varianten der professionellen F5 (1999 – 2001, DCS 620/660/760).
Nikon startete mit den professionellen Kameras Nikon D 1 und D 2 im APS-Format („DX“ d.h. 16 x 24 mm bei Nikon). Viele Sensoren wurden von Nikon selbst hergestellt. Das galt auch für das Amateur- und Semiprofessionelle Segment (D 100, D 50 etc.). Es wurde weiterhin das Nikon-F-Bajonett verwendet. Erst ab 2008 – mit der Nikon D 3X, D 700 – führte Nikon das digitale Vollformat 24x36mm ein. Die semiprofessionellen D-SLR mit hochauflösenden Sensoren (>36,3 MP – nun mit Sony-Sensoren) wurden mit der D 800-Baureihe ab 2012 gebaut – und damit für 2-3 Jahre wieder gegenüber Canon führend… bis 2015 zur Canon 5Ds/r.
Nikon spiegellose Systemkameras: Erst 2018 bringt Nikon mit der Z-Baureihe (und neuem Z-Bajonett wegen des kürzeren Auflagemaßes) eine spiegellose digitale Systemkamera (im Format 24x36mm) auf den Markt – führt aber die D-SLR-Baureihen (ebenso wie die analoge F6) weiter.
1959 – Yashica Pentamatic – Hersteller: Yashica; Mechanische SLR mit fest eingebautem Pentaprisma und proprietärem Objektiv-Bajonett (nicht das spätere C/Y-Baj.!) Firma wurde 1949 als Kamerahersteller gegründet und war zunächst bekannt für Leica-Kopien und TLR-Kameras.
1961 Penta-J jetzt mit M42-Gewinde
1966 TL Super
1968 TL Electro – erste SLR mit vollelektronischer Belichtungssteuerung.
1972 Kooperations-Vertrag mit Zeiss Ikon und F.A.Porsche, woraus ab 1974 die SLR-Baureihe Contax-RTS hervor ging, die Yashica baute. Weiter siehe oben bei Contax RTS!Danach führte Yashica das neue c/y-Bajonett auch bei den eigenen SLR-Modellen ein (ab FX-1).
Yashica wurde 1983 von Kyocera übernommen – die SLR-Fertigung wurde dort 2005 eingestellt.
1958/59 – Minolta SR-2/-1 – Hersteller: Chiyoda Kōgaku Seikō/ab 1962: Minolta Camera Company (gegründet 1928 – aber erst 1962 führt die Firma den Namen Minolta als Firmennamen!) SR-2 ist eine SLR mit fest eingbautem Prisma, Rückschwingspiegel und SR-Bajonett, das für alle non-AF-Kameras bis 1985 kompatibel bleiben wird.
1960 folgt SR-3 mit gekuppeltem Belichtungsmesser, 1965 die SR-7 . Zwischendurch brachte die Firma eine „Minolta ER“ heraus, mit Zentralverschluß, ähnlich der Contaflex II – ohne Nachfolger.
Der Aufstieg zum weltweit mengenmäßig größten SLR-Hersteller in den 70er Jahren begann 1966 mit der SR-T 101 – der ersten SRT mit Offenblenden-Meßtechnik und einem intelligenten Belichtungsmess-System.
Minolta fertigte Objektive (Bezeichnung: Rokkor) in hervorragender Qualität und immer wieder in innovativer Bauweise (z.B. das Zoom Rokkor 40-80mm f2.8 !) – schon seit den frühen 1940er Jahren verfügte Minolta über eine eigene Glasschmelze und führte bereits 1946 als erster Optik-Hersteller in Japan die Beschichtung ein!
1972 wurde eine Kooperation zwischen Minolta und Leitz vereinbart. Aus dieser Zusammenarbeit ging 1976 die Leica R3 hervor (im Wesentlichen auf Basis der Minolta XE).
Außerdem übernahm Leitz mehrere Minolta Objektiv-Designs: 24mm f2.8, Fisheye 16mm f2.8, 35-70mm f3.5 und 70-210mm f4.
1977 folgte die XM-/XD-/XE-/XG-Baureihe mit der sich Minolta (nach der XM!) konsequent wieder dem Amateur-Segment zuwendete.
Minolta X-700 bedeutete 1981 den Schritt zu elektronisch kontrolliertem Verschluss mit TTL-Belichtungskontrolle durch das vom Film reflektierte Licht (auch TTL-Blitz ermöglichend) – was Olympus schon mit der OM-2N früher eingeführt hatte. Wie üblich folgten viele Modellvarianten (X-300, 300S, 300N, 370, 500, 570 and 600. The X-500) – besonders preiswertere. In dieser Zeit ließ Minolta erstmals billige Modelle in China herstellen.
1985 brachte Minolta die erste Autofocus-SLR mit Gehäuse-gestütztem AF-Antrieb in Großserie auf den Markt, die Minolta 7000/9000 AF – und soll in der Folge wieder einige Jahre der mengenmäßig größte SLR-Hersteller der Welt gewesen sein.
Mit den folgendenAF-SLR Baureihen Dynax 7/9 xi (1992) und 7/9/9Ti und 800si zog immer mehr Automatisierung und elektronische Steuerung in die Kameras ein.
2003 fusionierte Minolta mit Konica zu Konica Minolta.
Die großen Erfolge der frühen AF-SLR-Zeit hatten bei Minolta allerdings auch eine Kehrseite: Honeywell klagte gegen Minolta wegen Patentverletzung durch das Minolta-AF-System. Nach Jahren gewann Honeywell den Prozess und Minolta mußte 1991 über 127 Mio. Dollar Lizenzen nachzahlen. Das war vor allem deshalb tragisch, weil Minolta glaubte, durch ein von Leica erworbenes AF-Patent aus den 70er Jahren abgesichert zu sein. (Leica meinte, dass ein Leica-Fotograf sowas nicht brauche…. und hat konsequent nie eine AF-SLR gebaut!) Der Lizenz-Fall hat Minolta massiv finanziell geschwächt. Dies wurde durch eine weiteren Fehlentscheidung verschärft: Minolta investierte Massiv in das APS-System (im Vertrauen auf Kodaks Macht, das durchzusetzen) anstatt in Digitale Fotografie (die dann ihrerseits dazu beitrug, das APS sich nicht mehr durchsetzen konnte!).
2004 und 2005 kamen die beiden ersten D-SLR-Kameras von Minolta auf den Markt: Konica Minolta Dynax 7D und 5D. (6 MP) Die Bildqualität der 7D war ausgezeichnet. Nur die Fujifilm Finepix S3 Pro war (CCD – auch mit 6 MP) damals nach meiner Erfahrung noch etwas besser, sie hatte allerdings zwei Photodioden je Pixel.
2006 stellte Konica Minolta die Kameraproduktion ein – die digitale Fotosparte wurde an SONY verkauft. Einige der ausgezeichneten Minolta AF-Optiken (A-Mount, der von Sony für D-SLR übernommen wurde) wurden von Sony optisch unverändert bis weit in die 2010er Jahre Geliefert.
1962/63 – Fujicarex II – Hersteller: Fuji Foto Optical; Festes Prisma, Rückschwingspiegel und Zentralverschluss (Copal) – mit wechselbarem Objektiv-Vorderteil. Ähnlich Contaflex III.
Firma wurde 1934 gegründet für Filmmaterial. 2006 umbenannt in „Fujifilm„.
1971 folgte die Fujica ST701 mit Wechselobjektiv-Anschluss M42, festem Pentaprisma und weltweit erstmals mit der schnellen Si-Photo-Diode.
1979 Umstellung auf X-Mount-Bajonett-Anschluß – STX-1. „Fujinon“ baute ein renommiertes Zuliefergeschäft hochwertiger Foto-Objektive an andere Kamerahersteller auf (z.B. Hasselblad).
In 2000 bis 2006 trat Fuji mit der Marke „FinePix“ mit einigen sehr hochwertigen D-SLR-Kameras auf, deren Kameragehäuse auf Nikon-Modellen (N80/F80) basierten: S1 Pro, S2 Pro, S3 Pro und S5 Pro, die auf speziellen Sensoren mit bis zu 12,34 MP basierten. Ich besaß die S3 Pro und sie hatte meiner Meinung nach die beste Farbwiedergabe aller D-SLR jener Periode.
Nachhaltig große Bedeutung erlangt Fujifilm erst wieder seit den 2010er Jahren mit spiegellosen Systemkameras (APS-C und Mittelformat-Sensoren).
1963 – Olympus Pen F/FT – Hersteller: Olympus Optical; Konstrukteur Yoshihisa MAITANI (1933 – 2009). Pen F war eine Halbformat-SLR mit fest eingebautem Porro-Prisma und Rotationsverschluß und entwickelte sich weltweit zum „coolen“ Statussymbol für die jüngere Generation – klein und sehr chic aber eine Zehnerpotenz billiger als die Leica – ich habe auch mal davon geträumt…
Olympus – 1919 zur Herstellung von Mikroskopen und Thermometern gegründet trägt erst seit 1949 den Namen „Olympus“ (Achtung: Globalisierung! – vorher trug die Firma den Namen des japanischen Götterberges „Takachiho“…) – ab 1963 ist es in Europa aktiv (Hamburg).
1972 wurde die ebenfalls von Maitani entwickelte professionelle Systemkamera OM1 vorgestellt. Maitani hatte jahrelang systematische Konstruktionsanalysen durchgeführt zur Realisierung einer möglichst kompakten SLR – was ihm mit großem Erfolg gelang. In dem Interview in dem folgenden Link (am Ende des Textes) beschreibt Maitani sehr eindrucksvoll seine Entwicklungs-Philosophie:
Die OM-2N war 1977 die erste SLR-Kamera, in der die Belichtung direkt über das von der Filmoberfläche reflektierte Licht geregelt wurde – was bei Minolta erst 1981 mit der X-700 genutzt wurde.
Es folgten OM-2 ab 1975, OM-100 ab 1978, OM-3 und OM-4 ab 1983, OM-4Ti ab 1987, OM-3TI ab 1995. Das OM-System wurde 2002 eingestellt. Zwischendurch hatte Olympus versucht eine Autofukus-SLR zu etablieren (OM-707) – aber zu halbherzig: das Projekt floppte, sodaß die analoge SLR von Olympus 2003 verschwand.
Die Objektive der OM-Baureihe waren sehr kompakt, lichtstark und hatten sehr gute Qualität – viele Objektive gewannen Kult-Status, z.B. das legendäre 180mm f2.0 („The holy Grail“).
Schließlich startete Olympus 2003 (mit Kodak, Leica und Panasonic zusammen) eine digitale SLR-Baureihe für das FourThirds-Sensoren-Format (Bildkreis-Durchmesser 21,63mm): die digitale E-System: E-1 (5 MP), E-3 (8 MP), E-5 (12 MP). Natürlich dann mit Autofokus!
Diese letzten echten SLR-Kameras von Olympus hatten höchstes professionelles Niveau.
Ab 2009 stellte Olympus auf das Micro-FourThirds-System um, das waren keine SLR mehr, sondern spiegellose Systemkameras mit dem gleichen Bildkreis und Sensorformat und kürzerem Auflagemaß.
1964 – Seagul Reflex DF – Hersteller: Shanghai Camera Factory, China. Mechanische, manuell fokussierte SLR als Nachbau von Minolta SLR mit Minolta SR-Bajonett. Keine eigenen Innovationen. In einem Wikipedia-Artikel werden 25 verschiedene Modelle aufgeführt – eines führ sogar den offiziellen Minolta Typ (-102b) im Namen. Stückzahlen und Stand heute sind mir nicht bekannt – 1999 sollen aber 600.000 Kameras (aller Arten – nicht nur SLR) produziert worden sein – insgesamt seit Firmengründung 1958 über 20 Millionen.
1965 – Konica Auto S -Hersteller: Konishiroku Photo Industry Co. (ab 1987 Konica Corporation – 2003 Fusion mit Minolta zur „Konica Minolta“ ). Konica ist quasi die „japanische Kodak“ – 1873 zur Herstellung von Kinofilm gegründet. Seit 1903 Fotopapier, seit 1929 fotografische Filme. Kameraherstellung seit 1882, seit 1948 35mm-Kameras.
1968 – erste SLR mit TTL-Belichtungsautomatik (Konica Autoreflex 35mm FTA) und 1975erste SLR mit eingebautem Motor.
(Weiterhin bemerkenswert: 1992 brachte Konica entgegen dem allgemeinen Trend wieder eine Meßsucherkamera heraus: die Hexar war damals die leiseste Kleinbildkamera – gefolgt 2003 von der Hexar RF, meiner Meinung nach, die beste Leica-M, die je gebaut wurde!)
1970 – RICOH TLS-401 – Hersteller: RICOH. Eine SLR mit fest eingebautem Prisma und M42-Objektiv-Anschluß nach dem Stand der damaligen Technik.
Ab 1979 wurde die KR-, danach die XR-Familie mit Pentax K-Bajonett eingeführt – 1995 kam das letzte Modell auf den Markt. Ricoh hatte 1938 mit Kleinbild-Kameras angefangen (M39), übernahm 2011 aber schließlich Pentax! – nach dem Muster: die kaufmännisch erfolgreiche Firma übernimmt den jahrzehntelangen Innovator…
1974 – Cosina Hi-Lite EC – Gegründet 1959 – ab 1973 in Cosina umbenannt. Die erste SLR hatte M42-Anschluß.
Cosina stellt bis heute Objektive und auch (Meßsucher-)Kameras her. Seinerzeit Zulieferer für 3rd Party Objektive, aber auch Zeiss und stellte für viele renommierte SLR-Hersteller die Modelle im untersten Preissegment her. In Deutschland stark vertreten mit Modellen der Handels-Marken REVUE und PORST
1979 mit der Cosina CT-1 der Wechsel zum K-Bajonett.
1980 mit der Cosina CS 3 auch elektronisch gesteuerte Kameras.
ab 1999 werden hochwertige Kameras und Optiken unter der Marke VOIGTLÄNDER entwickelt und produziert – allerdings bis auf eine Ausnahme (ein an Topcon-angelehnter SLR-Nachbau) RF-Kameras.
Eine kurze Schlußbemerkung:
Wenn man sich die Gesamt-Entwicklung der SLR-Technik bis heute (2020) ansieht, so muss man feststellen, dass letzlich nur die Unternehmen nachhaltig zu dauerhafter Größe kommen konnten, die SOWOHL Kameras ALS AUCH Objektive herstellten. (Siehe: Nikon, Canon, Sony in Nachfolge Minolta, Fujifilm, Olympus, Pentax.)
Ich messe die optische Qualität von Objektiven mit Hilfe des IMATEST-Verfahrens. (Imatest ist eine 2004 in Boulder, Colorado, USA gegründete Firma.)
Das durch das Objektiv mit der Digitalkamera aufgenommene Testbild (Target) stellt eine Datei dar (Bild-Daten + Exif-Datei). Diese Datei wird mittels einer (kostenpflichtigen) IMATEST-Software analysiert (IMATEST-Studio oder IMATEST-Master). Die Analyse liefert – abhängig von der Art des Targets – eine ganze Reihe von optischen Prüfergebnissen, die letztlich alle auf der MTF-Kurve basieren.
Das Basis-Verfahren wird Imatest SFR genannt (Imatest spatial frequency response), was man allgemein als „Modulation Transfer Function“ (MTF) bezeichnet. Analysiert wird eine Hell-Dunkel-Kante, die Imatest als „clean, sharp, straight black-to-white or dark-to-light edge“. Die hellen und dunklen Flächen, die an die Hell-Dunkel-Kante angrenzen müssen sehr gleichmäßigen (konstanten) Helligkeitsverlauf besitzen. Der Analyse-Algorithmus basiert auf dem Matlab-Programm „sfrmat“. Im Prinzip ließe sich dafür jede beliebige scharfe Kante verwenden. Imatest empfiehlt und verwendet eine Kante unter 5.71° Neigung und einem Kontrast von 4:1, da dies die am besten reproduzierbaren Ergebnisse liefert:
Es versteht sich, dass die grafische Qualität dieses Testbildes/Test-Charts eine wichtige Rolle bezüglich der Reproduzierbarkeit von damit erzielten Prüfergebnissen spielt. Deshalb habe ich mir die große Test-Chart „SFRplus 5×9“ von Imatest aus USA liefern lassen (sie kostet derzeit $430,00). Der Abstand zwischen dem oberen und unteren schwarzen Balken beträgt 783 mm – die Gesamtbreite ca. 1.600 mm:
Die SFR-Messung erfolgt hier, wie vorstehend schon beschrieben, nicht etwa an den kleinen radialen Rosetten, die in die Quadrate eingebettet sind, sondern an den horizontalen und vertikalen Kanten der um 5.71° gedrehten grauen Quadrate.
Das Testbild kommt als eingerollter Druck und muss noch auf eine perfekt ebene, stabile, dauerhafte Unterlage aufgeklebt werden. Das habe ich von einem professionellen Laminier-Betrieb auf dem stabilsten Sandwich-Trägermaterial erledigen lassen ((Blasen/Falten würden das Testbild unbrauchbar machen!). Dazu habe ich auf der Rückseite zwei Al-Profile zur Versteifung und Wandmontage aufkleben lassen. Die genau vertikale und verdrehungsfreie Wandmontag habe ich mit einem Kreuzlaser unterstützt vorgenommen.
Eine typische Aufnahme dieses Testbildes durch das zu untersuchende Objektiv mit der Digitalkamera sollte so aussehen:
IMATEST stellt folgende Check-Liste für die Arbeit mit der Test-Chart auf:
Vieles ist da zu beachten – und darüberhinaus entdeckt man in der praktischen Ausführung noch eine Menge Details, die einem eine sehr hohe Konzentration abfordern… zum Beispiel die Ausleuchtung:
LED-Lampen! … aber bitte nicht von Akkus gespeist – da ändert sich gegen Ende der Akku-Laufzeit die Beleuchtungsstärke. Unbeding Beleuchtungsintensität messen!
Bezüglich des Arbeitsabstandes als Funktion der Pixel-Anzahl der Kamera gilt, dass die große SFRplus TestChart für die 60 MP der Sony A7Rm4, die ich einsetze, gerade ausreichend ist.
Es kann im Prinzip jeder machen, der eine hohe Motivation dazu hat – aber es ist von äußerst großem Nutzen, wenn man viel von Optik und Physik versteht … damit man am Ende nicht Hausnummern misst! 😉
Ich werde jetzt nicht mehr in jedes Detail gehen. Natürlich ist die nächste wirklich wichtige Hürde, die man nehmen muss, die Ausrichtung der Kamera/Objektiv-Achse zur Mitte und zur Ebene des Testbildes. (Ich arbeite da mit zwei Kreuz-Lasern.)
Wenn man schließlich alles im Griff hat und man hat korrekte Aufnahme-Dateien des Testbildes erstellt, dann ist der Rest mit der Imatest-Software tatsächlich eine Knopfdruck-Aktion: mit dem oben dargestellten Chart SFRplus definiert das Programm automatisch 46 „ROI“ (region of interest) – also kleine Ausschnitte der „slanted-edges“ wie oben beschrieben – mal horizontal mal vertikal orientiert – und analysiert dann binnen weniger Sekunden die Auflösung an diesen 46 Stellen, die MTF-Kurve, ein (vorher festgelegtes) Kantenprofil und die Auflösungskurve über dem Bildkreisradius (getrennt nach sagittaler und meridionaler Orientierung.
Das wird in Graphen oder auch in Tabellenform ausgelesen – bzw. als Datei, mit der man weitere programmierte Auswertungen und Darstellungen durchführen könnte.
Auflösungs-Daten kann man für mehrere MTF-Kontrast-Werte (MTF10, MTF20, MTF30, MTF50) ausgeben lassen. Dann wird neben den Einzelwerten in der obigen grafischen Darstllung auch der gewichtete Mittelwert der (z.B.) MTF30-Auflösung über das GESAMTE Bildfeld, der Mittelwert für die MITTE, der Mittelwert für den Übergangsbereich und der Mitttelwert für die Ecken ausgegeben:
Außer den Auflösungs- und MTF-Daten werden Chromatische Aberration und Verzeichnung ermittelt.
Ich messe stets bei ALLEN Blenden jedes Objektives und definiere als „optimale Blende“ der jeweiligen Optik die mit dem höchsten (gewichteten) Gesamt-Mittelwert der Auflösung über das gesamte Bildfeld. Es kann dabei sein, dass an diesem Blendenwert die maximale Auflösung in der Bildmitte schon überschritten ist, aber die Rand/Ecken-Auflösung noch deutlich steigt.
Zur Charakterisierung einer Optik habe ich mich entschieden, folgende Auflösungswerte anzugeben – und zwar einmal bei Offenblende, einmal bei optimaler Blende:
Mittelwert gesamte Bildfläche (gewichtet mit 1/0.75/0.25)
Mittelwert der Meßpunkte in Bildmitte (bis 30% Bildradius)
Mittelwert der Meßpunkte Rand/Ecken (außerhalb 70& Bildradius)
MTF-Kurve (über der Frequenz aufgetragen)
Kurve der Auflösung über dem Bildradius (Mitte=0 …. Ecke=100)
Außerdem Verzeichnung und CA. In meinen Vergleichstabellen kann das dann so aussehen:
Gelegentlich kann die 3D-Darstellung der Auflösung über der Bildfläche noch zu weiteren Erkenntnissen beitragen. Hier ein Beispiel (dasselbe Objektiv, wie in den anderen Beispielen weiter oben und unten!):
Alle Messungen erfolgen an derselben Digitalkamera Sony A7Rm4 mit 60 MP-Sensor und E-Mount-Objektivanschluß unter stets gleicher Einstellung von Auflösung und kamerainterem RAW-Converter (z.B. Schärfung auf Wert „0“).
Soviel zur konkreten Messung der Qualität der optischen Systeme. Und damit wäre für fabrikneue Objektive an einer Kamera, für die die Optik hergestellt wurd, eigentlich alles gesagt.
Bei meinen Untersuchungen an HISTORISCHEN Objektiven treten allerdings folgende Einflüsse auf:
a) Ich nehme hier die Messungen an historischen Objektiven vor, die bis zu 100 Jahre alt sein können. Die meisten davon sind in einem normalen Abnutzungs- und Alterungs-Zustand, wobei ich festhalten möchte, dass nur Objektive in ein Vergleichsprogramm aufgenommen werden, die keine starken Ablagerungen, Beläge und Separationen an Linsenflächen zeigen, die schon als „Schleier“ in Erscheinung treten. Staubpartikel im Inneren und mäßige Putzspuren sind nicht auszuschließen – aber alle geprüften Optiken erscheinen – auch mit einer LED-Punktlampe durchleuchtet – weitgehend klar! Welchen Einfluss die Alterung und „normale“ Verschmutzung auf die Messergebnisse haben kann ich nicht klären – ich schlage vor, dass man die Ergebnisse pragmatisch eben als das ansieht, was sie sind: nämlich die Eigenschaften (unterschiedlich) gealterter historischer optischer Geräte! Die Ergebnisse liefern allenfalls einen orientierenden Eindruck vom Auslegungs- und Neu-Zustand dieser Objektive. Da die Ergebnisse in vielen Fällen überraschend gut ausfallen, darf man die Dinge auch gerne so bestaunen, wie sie jetzt erscheinen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Optiken durch die Alterung BESSER geworden sind…
b) Um die Objektive der unterschiedlichsten historischen Kamerasysteme (wie Exakta, Alpa, M42,…) an die Kamera mit E-Mount anzuschließen, wird ein ADAPTER benötigt. Damit tritt ein rein mechanisch-geometrisches Problem im Versuchsaufbau auf: nach meinen bisherigen Erfahrungen ist genau das die zweitgrößte Fehlerquelle bei den Versuchen, über die ich berichte. Weil der Adapter nun ein Bestandteil der Fassung des Objektives ist, verschlechtern sich oft Zentrierung und Ausrichtung der optischen Achse relativ zum digitalen Bildsensor.
Die IMATEST-Software liefert bezüglich dieses Problemes allerdings eine wichtige Hilfestellung:
Man kann dieses Analyse-Ergebnis benutzen, um den Meßaufbau mit dem jeweiligen Adapter optimal auszurichten. Ich habe mir derzeit eine Toleranz von <0.1 Grad bei den Konvergenz-Winkeln gesetzt.
c) Die größte – und leider nicht sicher abzuklärende – Fehlerquelle bei diesen Messungen an historischen Objektiven, die für die Benutzung mit „Analog-Film“ konstruiert wurden, ist die unbekannte Wechselwirkung zwischen Optik und Digital-Sensor („Digital-Tauglichkeit“).
Hier sehe ich aufgrund meiner Erfahrungen drei Haupt-Probleme:
c1) Mögliche Reflexionen zwischen einer oder mehreren Linsenflächen und der Sensoroberfläche. Das kann sich zonenweise als Kontrastminderung auswirken oder auch das Bild ganz gravierend stören. In meinem Blog-Beitrag über das Ernostar 100mm f2.0 habe ich eine solche Erscheinung beschrieben (mit dem 42 MP Sony-Sensor).
Dort bildete sich beim Abblenden über f5.6 ein großer, milchig aufgehellter Bereich in der Bildmitte. Am 24 MP-APSC-Sensor in der Fujifilm-X-T2 (bzw. X-Pro2) trat dieselbe Erscheinung nicht auf. Dabei habe ich auch untersucht, dass diese Erscheinung auf Analog-Film bei diesem Ernostar-Objektiv nicht auftrat.
c2) Anti-Aliasing-Filter als zusätzliche optische Elemente können einen nennenswerten Einfluß auf die Bildqualität nehmen. Das ist sehr anschaulich im Artikel von H.H.Nasse unter lenspire.zeiss.com beschrieben.
Allerdings besitzt die verwendete Sony A7Rm4 kein Anti-Aliasing Filter, sodass ich nicht davon ausgehe, dass es in meinen Untersuchungen diesen Einfluss gibt.
c3) Hintere Schnittweite (Abstand zwischen hinterstem Linsenscheitel und der Film/Sensor-Ebene) und daraus möglicherweise resultierende sehr flache Einfalls-Winkel der Strahlen auf den Sensor. Was der Film verkraftet (und zwangsweise mit starkem Helligkeitsabfall im Außenbereich des Bildes quittiert = starke Vignettierung) bekommt dem Sensor nicht: es kommt zu schlimmsten Einbrüchen der Auflösung und Farbübertragung! Auch das ist im Nasse-Artikel sehr anschaulich beschrieben!
Diese Erscheinung gilt grundsätzlich für alle (symmetrischen) Weitwinkelobjektive der Brennweite <35mm an Digitalsensoren, also meistens für die Weitwinkelobjektive mit Bildwinkel >70°, die für analoge Meßsucherkameras gebaut wurden. Für Retrofokus-Objektive gilt das nicht.
Ich rechne aber damit, dass es auch noch andere, unbekannte Wechselwirkungen zwischen Analog-Objektiv-Strahlengang und Digitalsensor gibt. Deshalb ist für mich die wichtigste Voraussetzung für die VERGLEICHBARKEIT von Messergebnissen mittels Digitalkamera, dass immer dieselbe Kamera dafür verwendet wird – mit immer gleichen Einstellungen des RAW-Converters.
Copyright Fotosaurier, Herbert Börger, Berlin, 07. März 2020
Ein bemerkenswerter Ingenieur und Unternehmer der französischen Optik-Industrie – in Deutschland (zu) wenig bekannt.
Aktualisierung am 22.11.22: Genaue Informationen zum Objektiv „Type M1, 50 mm f/095“ in diesem Artikel unten im Text.
Aktualisierung am 15.02.23: IMATEST-Messergebnisse für das Angénieux M1 50mm f/0,95 in einem neuen Blog-Beitrag – hier.
Aktualisierung am 21.03.24: Inzwischen ist es mir gelungen, die Auflösung des Objektivs Typ M1 50mm f/0.95 auf Kleinbildfilm zu messen – Blog-Beitrag hier.
Bei einem Gespräch auf der Photokina 2018 stellte ich fest, dass selbst altgediente Foto-Experten bei uns mit dem Namen Angénieux wenig anzufangen wissen. Das hat mich motiviert, diesen Text über die phänomenalen Innovationen von Pierre Angénieux zu verfassen, der nach dem 2. Weltkrieg die wohl nachhaltigsten (Linsen-)Erfindungen für die heutige Foto- und Film-Optik hervorbrachte:
Binnen nur 6 Jahren schenkte er der Welt drei bedeutende Innovationen:
Das erste Retrofokus-Weitwinkelobjektiv für SLR-Kameras (1950)
Das erste Objektiv mit Lichtstärke 1:0.95 (1953)
Das erste mechanisch kompensierte „echte“ Zoomobjektiv (1956)
Alle diese Innovationen waren, wie gesagt, auch noch außerordentlich nachhaltig: sie sind bis heute gültiger Bestandteil aktueller optischer Konstruktionen! Heute werden alle Zooms aller Hersteller nach dem seinerzeit von Angénieux durchgesetzten System (der mechanischenKompensation) hergestellt. Diese Nachhaltigkeit gilt auch für die 1935 von P.A. gegründete Firma – sie existiert bis heute (Thales-Angénieux)und ist nach wie vor ein Leuchtturm in der Film-Branche, wenn auch die Foto-Objektive in den 1990er Jahren (ca. ab 1993) an der Schwelle des Übergangs der Kleinbild-Kamerasysteme zum Autofokus-System aufgegeben wurden – wohl zeitgleich mit der Übernahme der Firma durch den Thales-Konzern.
Ein Lebensweg, gesäumt von Innovationen und nachhaltigem Erfolg.
Dass Angénieux insbesondere von 1950 bis 1964 ein solches „Feuerwerk“ von mehreren innovativen Produktlinien als doch relativ kleiner Mittelständler parallel zueinander „abbrennen“ konnte, lag daran, dass er die Zeit des 2. Weltkrieges, als seine Firma auf militärische Produkte beschränkt war, klug für grundlegende Entwicklungen in der Optik-Berechnung nutzte und vermutlich ja auch Prototypen baute, diese aber geheim hielt: mit seinen eigenen neuen Berechnungsmethoden konnte er optische Systeme 10-fach schneller berechnen als es dem damaligen Stand der Technik entsprach – noch vor dem Einsatz von Computern! Angénieux war nämlich auch als Mathematiker begabt – und mehr noch: in vielen Fällen vertraute er seinem Gespür für die Sache – und hatte sehr of das RICHTIGE Gespür.
In vielen Quellen über Angénieux wird die Zusammenarbeit mit der NASA ab 1964 als weiteres (4.) Highlight in seiner Laufbahn aufgeführt. (Optiken waren in den Ranger 7- bis Apollo 11-Missionen (1969) zum Mond eingesetzt – später begleiteten Angénieux-Objektive auf Filmkameras jede Space Shuttle Mission bis 2011! ). Das ergab sich wohl aus seiner damaligen Innovationsführer-Rolle, führte aber meines Wissens nicht zur Schaffung spezieller Optik-Systeme für diesen Zweck (abgesehen davon, dass Objektive im Weltraum mit speziellen Fetten und Coating-Systemen produziert werden mussten, wenn sie im Vakuum funktionieren sollten, oder mechanisch für den Einsatz in der Schwerelosigkeit modifiziert werden mussten.). Immerhin aber: jedesmal, wenn jemand den ersten Schritt eines Menschen auf dem Mond sieht …. blickt er quasi durch ein Angenieux-Objektiv auf diese Szene. Ein äußerst prestigeträchtiger Umstand, der sich in diesem Jahr (2019) gerade zum 50sten mal jährt!
Die primären Anwendungsbereiche, die Angénieux seinerzeit im Auge hatte, waren Cine-Objekive: für Filmkameras für die professionellen 16 mm und 35 mm-Formate – aber auch für 8 mm, Super8 und TV. Stets wurden aber auch zeitnah Objektive für Fotokameras (Kleinbild-Format) gerechnet und auch in Massen produziert. (Für die, die es nicht wissen: das 35 mm-Cine-Format hat ein deutlich kleineres Bildformat (16 mm x 22 mm – also etwa wie APS-C heute) als das (angelsächsisch) auch mit „35 mm“ bezeichnete Kleinbild-Format 24 mm x 36 mm.).
Die großen Verdienste für die optischen Systeme an Filmkameras fanden denn auch große Anerkennung in der Branche: P. Angénieux erhielt zwei „Acamedy Awards“ (vulgo: „Oscar“ genannt): Den ersten Oscar für das erste 10-fach Zoom 1964, den zweiten für sein Lebenswerk 1990. (Wer in der Award-Liste der Academy im Internet nachsehen will: dort steht er bei den Verleihungen des Jahres 1965…)
Versetzen wir uns in das Jahr 1945 (mein Geburtsjahr!): ein nun schon nicht mehr ganz so junger Optik-Ingenieur und Unternehmer (*1907) sitzt in seinem Heimatort Saint-Héand (südlich von Lion) und wartet nach dem Ende des Krieges auf seine Chance. Seine Ausbildung hat er beim französischen „Papst“ für Film-Optik – Henri Chrétien (Designer des Cinemascope-Systems) – genossen und dann von 1930 – 1935 bei dem Weltmarktführer für optisches Film-Equipment – Pathé – als Optik-Ingenieur wertvolle Erfahrungen – und vor allem Kontakte mit der filmschaffenden Industrie erworben. Nebenbei war er schon seit 1932 zeitweise selbständig tätig (A.S.I.O.M.).
Eine seiner sehr wenigen Zitate über sich selbst lautete: „Ich habe niemals für einen Chef gearbeitet.“ Er selbst mochte es nicht, wenn man über ihn sprach. Folglich äußerte es sich sehr selten öffentlich. Es gibt daher fast keine „Primär-Quellen“ über sein Werk. Er war ein Mensch, der seiner selbst sicher war – diskret, aber nicht bescheiden. Er hatte ein Gespür für die Märkte von Morgen – oft lange vor anderen – und dabei einen Sinn für den Moment, in dem es opportun ist, Produkte zu lancieren. Ein anderes der sehr seltenen Zitate aus seinem Munde:
„Ich hatte ein außergewöhnliches Leben – ich habe immer getan, was ich liebte – und es ist mir alles gelungen!“
Nachdem er die Firma in andere Hände gelegt hatte und sich zurückzog, hat er nicht etwa seine Autobiografie verfasst – sondern einen Roman geschrieben.
Er war eher nicht der Tüftler-Erfinder, der in seiner Kammer (oder dem Elfenbeinturm) etwas erdenkt und dann hervortritt, um die Welt damit zu beglücken. Zwar nutzte er die ansonsten für zivile Innovationen verlorene Zeit des 2. Weltkrieges, um in St. Héand ganz für sich bahnbrechende optische Ideen „im stillen Kämmerlein“ voranzutreiben, aber da hatte er längst mit wichtigen Filmschaffenden eng zusammengearbeitet. Ab 1930 war er ja bei Pathé mit der Crême de la Crême der französischen Filmbranche in Kontakt gewesen und wusste direkt von den Kreativen – Kameraleuten und Regisseuren – was die haben wollten, was die sich von der Technik wünschten. Und die Regisseure trafen auf jemanden, der sie verstand und das Potential hatte, ihre Vorstellungen zu realisieren – ohne auf die Interessen eines Konzerns Rücksicht nehmen zu müssen.
D.h. Angénieux startete mit dem Wissen und Verstehen der Markt-Bedürfnisse. Es wird berichtet, dass schon seine erstes Retrofocus-Weitwinkel-Objektive für 16 mm- und 35 mm-Film (10 mm f1.8/ 18,5 mm f2.2) in der Branche große Begeisterung auslösten, weil sie den Regisseuren völlig neue Blickperspektiven ermöglichte. Orson Welles hat damals umgehend mehrere Filme mit nur (oder überwiegend) diesem einen Objektiv auf der Kamera gedreht. Ähnliche Berichte gibt es über das ultralichtstarke 10 mm f0.95. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, das die optischen Innovationen Angénieux’ in der Entwicklung des „Looks“ des neuen französischen Films kurz nach dem 2. Weltkrieg (New Wave und Cinéma Vérité) einen bedeutenden Anteil hatten. Das geht eindeutig aus vielen Aussagen der damals führenden Kameramänner hervor und dies hat in der Folge den Ruf der Produkte des Unternehmens bei den Fachleuten weltweit gefördert!
Angénieux’ Innovations-Drang machte dabei nicht Halt bei dem Objektiv-Linsenschema im engeren Sinne. Er hatte auch immer die ganze Kamera und die Arbeitsweise der Nutzer im Blick: so integrierte er schon in das erste 10-fach-Zoom für 16mm-Filmkameras (12-120 mm f2.2) in den Objektiv-Strahlengang einen Strahlenteiler, an dem seitlich ein Sucher-Strahlengang „ausgeschleust“ war. So wurde durch Wegfall des großen und voluminösen Suchers an der Kamera selbst das ganze Gerät leichter, kompakter, präziser und bedienungsfreundlicher.Macht man dem Kameramann die Arbeit mit der Ausrüstung leichter, wird er diese lieben, denn er kann sich auf das Wesentliche besser und schneller konzentrieren! Vermutlich waren es genau diese „gesamtheitlichen“ Sichtweise des Ingenieurs Angénieux, die den schnellen und großen Erfolg beförderten.
Daraus darf man nicht schließen, dass Angénieux die Foto-Optik stiefmütterlich behandelt hätte: schon als die ALPA Reflex 1939 als zweite SLR nach der Kine Exakta auf den Markt kam, war sie mit Normalobjektiven50 mm f2.9 oder 50 mm f1.8 von P.Angénieux ausgestattet. DutzendeConsumer-Kameras von 6 x 9 cm bis Kleinbild wurden in großen Mengen mit Angénieux-Optiken ausgestattet – besonders auch bei Kodak-Pathé.
Auch der Lebensabend dieses ungewöhnlichen Menschen verlief anders als man es von solchen unternehmerischen Lichtgestalten gewöhnt ist: Er klammerte sich nicht bis an das Lebensende an sein „Baby“, sondern gab, nachdem er alles erreicht hatte auf dem Höhepunkt des Erfolges seiner Zoom-Objektive mit 67 Jahren im Jahr 1974 die Leitung der Firma an Schwiegersohn und Sohn ab. Im Ruhestand schrieb er sogar einen Roman. Die Firma wurde 1993 schließlich – nach einem kurzen Intermezzo mit Essilor als Mehrheitseigner – an den Thales-Konzern verkauft und existiert bis heute erfolgreich als Thales-Angénieux. Pierre Angénieux starb 1998 mit 90 Jahren.
Am Ende des Textes habe ich eine Übersichtstabelle über die wichtigsten Innovations-Schritte durch Angénieux angefügt. Darin sind weitere Innovationen in Militär- und Medizin-Technik noch gar nicht berücksichtigt (erstes Head-up-Display, Schattelose OP-Kaltlichtquellen etc.).
Ich möchte noch erwähnen, dass es eine zweite sehr wichtige Persönlichkeit im Hause Angénieux gab, der sicher erheblicher Anteil an der Erfolgsgeschichte zu kommt: André Masson (*1921), der 1951 in die Firma eintrat und ebenso ein äußerst fähiger Optik-Ingenieur war. Er hatte zuvor in der Forschung am Konzept der MTF (Modulationstransferfunktion zur qualitativen Beurteilung von komplexen Linsensystemen) gearbeitet und dies in Frankreich parallel zu den Zeiss-Koryphäen Hansen und Kinder (1943) entwickelt. Dieses System bildete dort genau wie bei Zeiss die Grundlage der optischen Qualität. Die Foto-Zooms, die ich besitze, wurden mit einem MTF-Diagramm ausgeliefert in das der Messwert dieses Objektivs bei20 L/mm von Hand eingetragen ist – in allen Fällen liegt dieser Punkt deutlich über der angegebenen „mittleren“ MTF-Kurve.
André Masson war dann später bis zu seinem Ruhestand 1991 Generaldirektor bei Angénieux.
Ich erlaube mir an dieser Stelle noch einige tiefere Bemerkungen zu diesem „Phänomen Angénieux“, wie es sich nach intensivem Studium mir heute darstellt: ich habe zuvor bereits den Begriff „Nachhaltigkeit“ mit einer Vielzahl seiner Erfindungen in Verbindung gebracht. Wir haben es offensichtlich mit einem Ideal- und Glücks-Fall eines Mathematiker-Ingenieur-Marktversteher-Unternehmers zu tun, der oft das WESENTLICHE sah und dies dann auch aufgrund seiner Talente leisten und umsetzen konnte. Umgekehrt bedeutete dies, dass er – zumindest in der Anfangszeit – nicht immense Mengen Zeit und Geld in die Vermarktung der Produkte stecken musste – vielmehr riß man ihm seine Produkte bereits im Prototyp-Stadium aus den Händen! Regisseurinnen und Regisseure drehten mehrfach bereits Filme mit Objektiv-Prototypen, ehe die Objektive offiziell in die Produktion gegangen waren – und wirkten damit auch an der Erprobung der Produkte mit, die dann vor der Aufnahme der Serienproduktion noch angepasst werden konnten. Kann man sich eine privilegiertere Position vorstellen? Man kann auch seine Begeisterung für den Film gut verstehen: diese Welt bot Glamour… dem er sich selbst als Person allerdings konsequent entzog.
Meine persönlichen Erfahrungen mit Angénieux-Optiken.
Mit dem oben beschriebenen Wissen bin ich nicht auf die Welt gekommen. Als sich bei mir die Liebe zu Fotografie und Optik in den 60er Jahren zunehmend manifestierte, hatte Pierre Angénieux persönlich sein Lebenswerk schon fast vollendet… Geprägt durch die sehr frühen Erfahrungen mit der Contaflex II meines Vaters und die Liebe zur Natur- und Makro-Fotografie, ergab sich fast zwangsläufig meine Orientierung zur Spiegelreflex-Technik, die in der ersten Station natürlich bei EXAKTA (Varex IIb) münden musste. Schon damals hätte ich durchaus Angénieux-Objektive an meiner Exakta verwenden können – sie hatten damals einen Ruf wie Donnerhall… da ich mir aber als Student nicht einmal die hervorragenden original Zeiss-Jena-Boliden leisten konnte, war ich durchaus glücklich mit meinen Enna- und Isco-Linsen (das nannte man damals noch nicht „third-party-lenses“ sondern einfach „Fremdhersteller-Objektive“).
Praktischer Zugang zu den Meisterstücken des P. Angénieux ergab sich für mich erstmals zufällig im Jahr 2004. Ich experimentierte damals viel mit grandiosen älteren Analog-Objektiven aus den Baureihen Leica R, (Zeiss) Contax C/Y, Olympus OM und hatte alle nötigen Adapter für die Canon EOS 10d (und konnte Nikon-Optiken auch an der Kodak DCS Pro 14n mit 14 MP verwenden). Damals lieh mir ein Foto-Freund sein Angénieux-Zoom 45-90 mm f2.8, das mechanisch schon sehr stark abgenutzt war (zu diesem Zeitpunkt ja auch schon 22-33 Jahre alt….).
Schon der Blick durch den Sucher war eine Überraschung für mich, als ich sofort den hohen Kontrast des Sucherbildes wahrnahm. Die damit gemachten Aufnahmen bestätigten diesen Eindruck dann in vollem Umfang.
Angénieux-Optiken für Foto-Anwendungen.
Bild 1: Das erste Angénieux Foto-Zoom 45-90 f2.8 für Leicaflex 1968-1980 exklusiv für Leica in Leica-Design (Leica-Ref. 11930) – hier an der Leica R8
Bild 2: Meine Angénieux Festbrennweiten (alle für ALPA) v.l.n.r.: 28 mm f3.5 (1953), 24 mm f3.5 (1957), 90 mm f2.5, 180 mm f4.5 – rechts das 90er-Jahre-APO-Tele 180 mm f2.3 mit Leica R-Anschluss – inzwischen ist das Retrofocus 35mm f2.5 für Exakta hinzu gekommen …
Bild 3: Meine Angénieux-Zoom-Objektive v.l.n.r.: 45-90 mm f2.8 (1969-1982), 35-70 mm f2.5-3.3 (1982), 70-210 mm f3.5 und 28-70 mm f2.6 AF (1990) (2.v.r. – hier für Nikon)
In diesem Blog (fotosaurier.de) werde ich die Qualität dieser Objektive im Vergleich mit zeitgenössischen und modernen Optiken anderer Hersteller näher untersuchen und vergleichen.
Das ursprüngliche „R1“ genannte erste Weitwinkel 35 mm f/2.5 hat es laut Ponts Monografie (Lit.1) für ALPA nicht gegeben ….
Die Liste der Foto-Zoom-Objektive nimmt sich im Vergleich zu dem „Feuerwerk“ von Zoom-Modellen für den Cine-Bereich bescheiden aus. Patrice-Hervé Pont führt in seiner Monografie für 8 mm-, 16 mm- und 35 mm-Filmkameras und TV-Kameras 101 Modelle (bis zum Jahr 2002) auf – die speziellen Modifikationen (u.a. für Anamorphot-Vorsätze und die Raumfahrt) nicht mitgerechnet… Daran sieht man deutlich, welche Prioritäten die Firma – nachvollziehbar aus geschäftlichen Gründen! – setzte. Für die verschiedenen Cine- und TV-Formate gab es immerhin auch 29 Festbrennweiten, wovon eine – das Retrofocus-Objektiv „R7“ – 5,6 mm f1,8 mit 94° Bildwinkel für Cine16mm noch bis nach dem Jahr 2000 gefertigt wurde.
a – Retrofokus-Objektive:
Diesen Begriff hat Angénieux für das schon länger bekannte „reverse telephoto design“ (also „umgekehrtes Tele-Objektiv“) eingeführt. Schon Cooke Optics war bei seinen Objektiven für das Technicolor-Verfahren (ab ca. 1922) wegen des zwischen Objektiv und Film stehenden Strahlenteilers gezwungen Objektive mit im Verhältnis zur Brennweite vergrößertem filmseitigen Abstand zu schaffen – die „Panchro Lenses“. Schon 1930 hatte H.W.Lee (für Tayler, Tayler & Hobson) sein inverted telephoto design patentiert (für 50° Bildwinkel und f/2.0).
Bis zum Beginn des 2. Weltkrieges gab es erst drei serienmäßige Kleinbild-Spiegelreflex-Modelle (35mm-SLR): die Kine-Exakta (1933/34) und die Praktiflex (1936) aus Deutschland und die schweizerische ALPA Reflex (1944). Aber schon damals war der Fachwelt klar, dass das SLR-Prinzip viele grundsätzliche Vorteile gegenüber der Sucherkamera hätte – wenn nur nicht der Platzbedarf für den Schwenkspiegel zwischen Film und Objektivrückseite wäre! Diese Situation beschränkte zunächst den Einsatz vonWeitwinkelobjektiven kurzer Brennweite (<45 mm bei Kleinbild). Angénieux hatte das Erscheinen der Alpa-Reflex-Kamera mit ihrem (bis heute) kleinsten Auflagemaß aller SLR-Kameras (37,8 mm gegenüber typischerweise 44-45 mm!) noch vor der Schaffung der Retrofocus-Lösung dazu benutzt, für diese Kamera ein Objektiv 35mm f3.5 heraus zu bringen, das nicht mit dem Spiegel kollidierte -das ist meines Wissens ein einmaliger Fall geblieben, sonst war bei 40 mm Schluss.
Die für die Sucherkameras üblichen Weitwinkel-Konstruktionen wurden daher anfangs mit hochgeklapptem Spiegel (und Aufsteck-Sucher) benutzt, da sie tief in die Kamera hineinragen mussten.. Es war also eine absolut dringende Problemstellung, Lösungen für den SLR-konstruktionsbedingten größeren Abstand bis zur Filmebene für Weitwinkelobjektive zu finden. Daher verwundert es nicht, dass dafür praktisch zeitgleich identische Lösungen erschienen – zeitlich hatte Angénieux mit seinem Patent vom 29.7.1950 allerdings die Nase vorne.
Das erste Angénieux-Retrofokus-Objektiv (R1 – 35 mm f2.5) wurde zeitgleich mit dem Patent 1950 angekündigt. Ab 1953 wurde dieser Objektiv-Typ für SLR-Kameras bei Angénieux in Serie produziert – in GROSSSERIE! – 45.000 Optiken verließen jährlich das Werk, 40% davon nach USA.
1953 wurde auch schon das 28 mm f3.5 (R11) vorgestellt und 1957 kam das 24 mm f3.5 für SLR-Fotokameras heraus.
Bereits 1951 waren das 10 mm f1.8 (R21) für das 16mm-Cine-Format und das 18 mm f2.2 (R2) für 35 mm-Cine vorgestellt – jene Optiken die schlagartig in der französischen Filmindustrie mit dem neuen Blickwinkel für Furore sorgten. Die Objektive für Filmkameras fanden dabei oft schon als Einzelstücke sofort in Filmproduktionen berühmter Regisseure Eingang, ehe überhaupt die Serienproduktion begonnen hatte.
Ehrlich gesagt, gehört das Retrofokus-Prinzip aus meiner Sicht eigentlich nicht zu den so dramatisch schwierigen Aufgaben der Foto-Technik.
Noch einmal zurück zur Aufgabe: dieSchnittweite der üblichen Weitwinkel-Objektive für Messsucher-Kameras wie Leica ist zu kurz, da der Schwenkspiegel hinter dem Objektiv bei den SLR-Kameras mindestens 37 mm Schnittweite erforderte. Beim Auge würde man sagen: es ist „kurzsichtig“ – und verpasste ihm (mindestens seit dem 17. Jahrhundert) eine Zerstreuungslinse als „Brille“. Genau das ist in der „Fig.1“ des Patentes auch zu sehen: eine negative Meniskus-Linse in größerem Abstand vor einem Tessar-Grundobjektiv. Das ist eine Lösung, auf die ein Optik-Ingenieur leicht kommen kann– oder? Bei dieser einfachsten Variante (sie reichte für ein 35 mm-Weitwinkel aus) liegt der Mittelpunkt der vorgesetzten Zerstreuungslinse genau im vorderen Brennpunkt des Grundobjektivs. Dadurch bleibt die Brennweite des Grundobjektivs erhalten, nur die Schnittweite vergrößert sich.
Ganz so einfach, wie ich den grundsätzlichen „Trick mit der Kurzsichtigkeits-Brille“ beschrieben habe, ist die Lösung allerdings bei weitem nicht – jedenfalls nicht, wenn eine sehr gute Bildqualität angestrebt wird. Durch das vorgesetzte Zerstreuungsglied wird das Objektiv nun stark unsymmetrisch, verglichen mit dem meistens ziemlich symmetrischen Grundobjektiv. Dadurch werden alle Abbildungsfehler erheblich vergrößert. Es mussten zusätzlich Korrekturglieder eingeführt werden zusätzlich zur Modifikation des Grundobjektivs selbst. In den 50er Jahren hatten daher die ersten Retrofokus-Designs meist 6-7 Linsen, je nach Lichtstärke. Anfang der 60er Jahre hatten gute Retrofokus-Weitwinkel für Kleinbild (24/25 mm, 20/21 mm) 9 oder 10 Linsen. Ohne die reflexmindernde Vergütung der Linsen wäre das zuvor praktisch gar nicht möglich gewesen! Und es brauchte für eine ausgezeichnete Korrektur und höhere Lichtstärke dann auch neuere höher brechende Glassorten, um die Aufgabe gut zu lösen.
Gleichzeitig mit Angénieux haben allerdings die Ingenieure anderer Firmen auch daran gearbeitet: von Zeiss Jena weiß man gesichert, dass 1950 bereits eine Nullserie des 35 mm f2.8 Retrofokus-Weitwinkelobjektivs „Flektogon“ existierte – auch wenn der Designer Dr. Harry Zöllner das Patent erst am 8.3.1953 angemeldet hat – etwa zum Zeitpunkt der Produktionsaufnahme, die fast zeitgleich mit Angénieux war. Ich bin ziemlich sicher, dass es sich um unabhängige Parallelentwicklungen handelte: erstens wegen des gesicherten Zeitrahmens der Flektogon-Nullserie 1950 und zweitens wegen der großen Verschiedenheit des beim Flektogon verwendeten Grundobjektivs.
Auf dem Sektor Retrofokus bestand also offensichtlich 1950-1953 noch Gleichstand zwischen Saint-Héand und Jena – deshalb will ich auch die damals beteiligten Optik-Ingenieure aus Jena hier ausdrücklich erwähnen. Die Schöpfer des Jena-Flektogon waren Dr. Harry Zöllner und Rudolf Solisch.
Zeiss West kam etwas später mit dem gleichen Konzept unter dem Markennamen „Distagon“ auf den Markt (allerdings zuerst für Hasselblad 6×6 1954 und 1956 – dann ab 1958 mit dem 35mm f4 für die Contarex).
In diesem Zusammenhang soll eine dubiose Verschwörungstheorie nicht unerwähnt bleiben, die meines Wissens von Rudolf Kingslake in die Welt gesetzt wurde: demnach sei das Retrofokus-Prinzip ausschließlich bei Zeiss entwickelt worden – und das Know-How (ein Patent existierte vorher weder bei Zeiss in Jena noch bei Zeiss-Ikon in Stuttgart!) nach dem Krieg als „Reparations-Leistung“ an Angénieux gelangt! Ganz davon abgesehen, dass der Vorgang an sich ein absurdes Konstrukt darstellt: aus Jena, das nach dem Krieg als erste mit Retrofokus aktiv wurde, sind Reparationsleitungen sicher – wenn überhaupt – nur nach Russland gegangen. Mir erscheint es wesentlich wahrscheinlicher, dass es hier um eine „Spitze“ eines britischen Autors gegen französische Spitzenleistungen handeln könnte. (The never ending story…)
Präzise läßt sich dagegen nachverfolgen, wie kurz nach der Vorstellung des Jena-Flektogons das Retrofokus-Prinzip in Westdeutschland bei der Firma ISCO in Göttingen (24 mm f4) auftauchte: der Jenaer Miterfinder Rudolf Solisch war in den Westen gegangen und ist als einer der Erfinder des ISCO-Patentes genannt. Dieses sehr frühe 24 mm-Weitwinkel hatte allerdings bei weitem nicht die hohe optische Qualität des Angénieux-Objektivs (24 mm f3.5!) – und hier könnte man den Kreis schließen: warum solltejemand, der nur „Nachahmer“ eines Originals ist, auf Anhieb ein so viel besseres Produkt entwickeln können als der Besitzer des Original-Wissens?
in den 50er Jahren und bis Mitte der 60er war Angénieux‘ großer Vorsprung durch die eigene – bis zu 10-mal schnellere Berechnungsmethode ohne Computer besonders wirksam: beide Zeiss-Firmen (Ost und west) taten sich anfangs schwer mit den unsymmetrischen Konstruktionen und brauchten 2-3 Anläufe um eine wirklich gute Optik herzustellen. Währenddessen lieferte Angénieux nur einmal und dann gleich richtig gut. Die Optiken wurden in der Folge nie überarbeitet. Allerdings verlor ja ganz offensichtlich Angénieux sehr bald das Interesse an den Festbrennweiten – zugunsten der der extrem erfolgreichen Zooms. Mit der fortschreitenden Computeranwendung verlor sich dann auch bald der „Geschwindigkeitsvorteil“ aus den 1950er Jahren.
Die 20 mm-Brennweite (oder kürzer) wurde von Angénieux dann für das Foto-Kleinbild-Format nicht mehr auf den Markt gebracht – wohl aber das entsprechende Modell „R7“ (5,9 mm f1.8 – 10 Linsen) für das Cine-16mm-Format (1967). Dieses wurde als einzige Cine-Festbrennweite noch bis zum Jahr 2000 geliefert. Vermutlich hat der in den 60er Jahren von Angénieux losgetretene Boom bei den Zoom-Objektiven alle Kapazitäten absorbiert bzw. der eintretende wirtschaftliche Erfolg der hochwertigen professionellen Zoom-Produkte für Film-Kameras das Interesse am Foto-Segment in den Hintergrund treten lassen.
b – Die Lichtstärke 1:0.95 „Type M1“ (1953):
Schon in den 30er Jahren des 20. Jh. gab es das „Rennen“ um die „schnellsten“ Linsen: das Ernostar war der erste Schritt – der Doppel-Gauss-Typ die alternative Route. Es setzte sich die Weiterentwicklung des Ernostar zum „Sonnar“ (Bertele) bis f1.5 durch – einfach deswegen, weil es eine gute Lösung mit der geringsten Zahl von Glas-Luft-Flächen bot: die Vergütung war noch nicht Stand der Technik! Es gab Ansätze und Patentanmeldungen bis f1.1 (Lee-lens), 1934, oder Farron f1.2 von Tronnier oder ein Xenon f1.5 von 1932 – aber es war für normale fotografische Zwecke nicht realisierbar wegen des Streulicht-Problems ohne Vergütung. Einzig als Gauss-Typ in Serie realisiert wurde meines Wissens vor dem 2. Weltkrieg das Biotar von Carl Zeiss (75 mm f1.5) – praktisch zeitgleich mit der Einführung der Einschicht-Linsen-Vergütung ab 1936. Sonst war Sonnar der Standard. Spezial-Objektive (Doppel-Gauss) waren bereits Realität für die fotografische Aufzeichnung von Oszilloskop- oder Röntgen-Aufnahmen bei denen das Streulicht-Problem vermeidbar war: z.B. Leitz Summar 75 mm f0.85!!! Eine respektable Bildqualität war aber auch bei diesen Objektiven erst ab f1.2 zu realisieren, da einfach auch noch die geeigneten Glassorten fehlten.
Hier konnte Angénieux gleich nach dem Kriegsende seine enorme Leistungsfähigkeit bei der Optik-Berechnung ausspielen: parallel zu den ersten Retrofokus-Objektiven schuf er die erste großserienfähige Objektivserie mit Lichtstärke 1:0.95 – offensichtlich bewusst kleiner als 1.0 angesetzt, wegen des damit verbundenenPrestige-Anspruches: Das Lichtbündel hat einen größeren Durchmesser als die Brennweite! Und das können wir beherrschen! Die Patentanmeldung ist von 1953 und die Versionen 10 mm f0.95 (für 16 mm Cine-Format) und 25 mm f0.95 (für 35 mm-Filmformat) – wurden auch sofort bei der Filmarbeiteingesetzt: das Objektiv passte ideal zum Aufbruch des „cinéma vérité“ in Frankreich.
Bild 6: Ultra-Lichtstarkes Objektiv Angénieux „M1“ mit f0.95
Damit konnte man gegebenenfalls sogar ohne Drehgenehmigung (mit der Handkamera) in der Metro filmen!
Das 25 mm f0.95 war dann in jenen legendären NASA-Raumfahrt-Missionen Ranger7 bis Ranger8 (ab 31.7.1964) für die TV-Bilder von der Mondoberfläche beim Sturz der Sonden auf die Mondoberfläche eingesetzt
Das Objektiv 10 mm f0.95 (entsprechend photometrisch T1.1 !) wurde in großen Stückzahlen für Bell&Howell-Filmkameras vertrieben.
Es handelte sich um ein (8-linsiges) Doppelgauss-Objektiv (s. Bild oben).
1960 kam auch das 50 mm f0.95 (M1) dazu – ich habe aber im Blog „Street Silhouettes“ den Hinweis gefunden, dass es auch eigentlich ein Cine-Objektiv sein soll, das den Kleinbild-Bildkreis nur knapp auszeichnet. Das Buch von PONT bestätigt das: es ist für Cine 35mm gerechnet. Ich besitze das Objektiv selbst nicht und habe auch keine eigenen Erfahrungen damit. Wahrscheinlich läßt es sich nur an spiegellosen Kameras bis Unendlich fokussieren.
Aktualisierung 22.11.22:
Inzwischen konnte ich es mir nun allerdings von einem technisch begnadeten Foto-Freund, einem auf Objektive spezialisierten Sammler, leihen (s. unten stehendes Bild).
Damit war ich in der glücklichen Lage, die Bildfeldabdeckung aus erster Hand zu ermitteln und die optische Qaulität (mit IMATEST) zu messen:
Die Bildfeldabdeckung beträgt radial 86% der Kleinbild-Diagonale, das Objektiv hat also einen Bildkreis von ca. 37 mm! (s. Darstellung der Aufnahme damit am Test-Chart)
Mit einem relativ geringen Crop-Faktor kann man mit dem Objektiv also durchaus am Vollformat-Sensor arbeiten.
Die von mir gemessenen optischen Leistungen des riesigen Glas-Klotzes sind nicht anders als SPEKTAKULÄR zu nennen. Inzwischen liegen die Messergebnisse für das 50er Angénieux „M1“ vor – gleichzeitig auch für das legendäre Biotar 50mm f/1.4 .
Für Kleinbild 24×36 mm ist an einer SLR die Unendlich-Einstellung mit diesem Objektiv unmöglich – an einer spiegellosen Systemkamera ist das aber kein Thema.
Aktualisierung 21.03.2024: Schließlich ist es mir auch gelungen, das Objektiv M1 50mm f/0.95 an ein Analog-Kleinbild-Kameragehäuse zu adaptieren und die Auflösung auf Analog-Film zu messen – diesen Blog-Beitrag finden Sie hier.
Damit scheint Pierre Angénieux das Kapitel der ultra-lichtstarken Optiken hinter sich gelassen zu haben – mir sind auch für später keine weiteren hoch-lichtstarken Angénieux-Objektive bekannt.
Danach begann allerdings im internationalen Bereich das Rennen um die prestigeträchtigen hochlichtstarken Boliden für Kleinbildkameras erst richtig – zunächst noch für Meßsucherkameras: 1956 mit dem 50 mm f1.1 von Zunow und Nikon – Canon auch 1956 erst mit 50 f1.2 – und dann 1961 mit dem legendären 50 mm f0.95…mit Hilfe der Linsenvergütung nun alle mit erweiterten Doppel-Gauss-Modifikationen.
Erst in den 1970ern waren dann die Glassorten (z.B. mit anormaler Dispersion) verfügbar, um bei diesen „Lichtriesen“ wirklich gute Abbildungseigenschaften zu erreichen. Heute können sie „scharf“ bis zum Rand sein – hauptsächlich wegen des Einsatzes von asphärischen Linsen und auch immer neuer Glassorten.
c – Zoom-Objektive:
Die dritte Innovation des P.Angénieux nach weiteren drei Jahren – 1956 – war die bedeutendste und ebenso nachhaltig bis heute wirksame, wie das Retrofokus-Prinzip: das Zoom-Objektiv mit mechanischer Kompensation.
Wie die meisten Vorläufer-Entwicklungen für Objektive mit variabler Brennweite zielte auch diese primär auf cinematografische Anwendungen. Schon Ende des 19. Jh. gab es erste Ideen und Versuche mit Objektiven variabler Brennweite (Dallmeyer, USA). Allererste Anfänge lagen in Fernrohren mit variabler Vergrößerung (1880, Donders, Barlow). Die „Gummilinse“ war ja auch ein viel zu schöner Traum, um ihn NICHT zu träumen!
Erste optische Designs konnten durch Verschieben einer Linse oder Linsen-Gruppe die Brennweite variieren. Das Objektiv musste danach neu fokussiert werden. Ein kontinuierliches variieren mit konstanter Bildschärfe war nicht möglich.
1950 entwarf R.Cuvillier bei SOM Berthiot ein solches System mit optischer Kompensation, das Pan Cinor 20-60 mm f2.8 für das 16 mm Cine-Format. Diese erste professionelle Optik war weltweit sofort sehr erfolgreich (100.000 Pan Cinor in 1962 – es gab dann auch noch ein 17-85 f2). Es ist üblich, derartige Systeme als „Varifokal-Objektive“ zu bezeichnen, denn der Begriff „Zoom-Objektiv“ wurde erst später eben genau für das Angénieux’sche System geprägt. Nachdem sich Angénieux’ System durchgesetzt hatte, wurde das Pan-Cinor Anfang der 1970er Jahre eingestellt.
Angenieux hat als guter Mathematiker mit seinen Berechnungsmethoden schnell erkannt, dass das optische System des Pan Cinor auf maximal 4-faches Brennweitenverhältnis und mäßige Lichtstärken limitiert sein würde, was er für nicht ausreichend erachtete.
Er schuf ein „mechanisch kompensiertes“ Linsen-System, bei dem synchron und mechanisch exakt gesteuert, zwei Linsengruppen gleichzeitig „differentiell“ verschoben wurden: eine variiert die Brennweite („Variator“), die andere refokussiert gleichzeitig auf die konstante Fokal-Ebene („Compensator“). Auch dieses System hatte Vorläufer (Busch Vario Glaukar 25-80 und Cooke Varo 40-120 mm, alle für Cine-Anwendungen).
Bis heute beruhen alle Zoom-Objektive ausschließlich auf diesem Prinzip, das Pierre Angénieux durchgesetzt hat!
Auch hier will ich nicht unterschlagen, dass es auch Autoren gibt, die die Innovationsleistungvon Pierre Angénieux beim Zoom-Objektiv eher gering einschätzen: der britische Technik-Historiker Nick Hall sagt in seiner „Zoom Lens History“ (Zitat): „However, it would be a mistake to think that the Angénieux lenses represented a radical breakthrough: they were, instead, an incremental development, building on earlier devices (such as the Pan Cinor), and it seems unlikely that they would have caught on as quickly as they did in Hollywood had the Zoomar and Pan Cinor lenses not paved the way in film and television.“
Diese Aussage in Bezug auf das „Pan-Cinor“ ist falsch – der Rest des Satzes stimmt wohl insofern, als das Thema „ZOOM“ einfach schon lange im Raum stand – und dringend einer echten Lösung harrte – die Angénieux lieferte. Angesichts der Durchsetzung des Angénieux-Produktes und der Jahrzehntelangen technischen Überlegenheit der Angénieux-Zooms erscheint mir Hills Aussage unangemessen. Erneut eine Spitze eines britischen Autors gegen die französische Koryphäe? Ich habe noch nicht überprüft was Kingslake (den Hill sehr verehrt) zum Thema Angénieux-Zoom geschrieben hat…
Das 1956 vorgestellte und patentierte Objektiv war ein 17-68 mm T2.2 für das 16 mm Cine-Format. Es wurde ab 1958 ausgeliefert und veränderte in der Folge radikal die Bauform der Filmkameras. Schon 1961 wurde das 12-120 mm T2.2 ausgeliefert, das sofort massiv und weltweit für journalistische Arbeit, Reportage- und Dokumentations-Aufgaben eingesetzt wurde. Es wurde zum meistverkauften 16mm-Cine-Zoomobjektiv aller Zeiten.
Andere Zoom-Objektive für 16 mm-Cine-Format waren:
1963: 15-150 mm f/1.9-2.8 1964: 12-240 mm f/3.5-4.8 1965: 9.5-95 mm f/2.2 1966: 12.5-75 mm f/2.2 1967: 10-120 mm f/1.8 1967: 20-240 mm f/2.2 1971: 9.5-57 mm f/1.6-2.2 1977: 10-150 mm f/2-2.2 und 16-44 mm f/0.95-1.1
Schon 1962 folgte das 25-250 mm T3.2 für das 35 mm-Cine-Format, für das Angénieux bereits 1964 den ersten Academy-Award („Oscar“) erhielt. Es wurde in dieser Form 23 Jahre lang produziert ehe es 1985 durch das 25-250 mm f3.2-f4.0 abgelöst wurde. (Da hatte Pierre Angénieux sich bereits seit über 10 Jahren aus der Firma zurück gezogen… das, was er geschaffen hatte, war offensichtlich von Bestand – bis heute.)
Die totale Überlegenheit, die Angénieux mit diesen Zoom-Objektiven erreichte, wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass der bedeutendste Konkurrent, Cooke, erst 1978 mit einem konkurrenzfähigen Objektiv heraus kam: dem Cooke Super Cine Varotal 25-250 mm f2.8.
Später gab es ein Rennen um die größte Zoom-Spannweite, die für TV-Kameras besonders nützlich war: hier hatte Angénieux gegenüber Berthiot stets “die Nase vorn“: 1976/77 mit 42-fach Zoom (speziell für die Olympischen Spiele in Moskau 1980 vorgesehen): 15-630 mm in einem Zoom! Dann 1994 mit 72-fach Zoom! Für militärische Zwecke (Fa. Raytheon, USA) wurden bereits zwei Exemplare eines 100x-Zooms (mit 3 Metern Baulänge!) im Jahr 1985 hergestellt!
Ein anderes, noch früheres 35mm-Zoom war das 35-140 mm T3.5, das bereits 1961 von Godard und Truffaut eingesetzt wurde, und für das sofort bei Erscheinen das Anamorphot-System („Franscope“) eines befreundeten Ingenieurs zur Verfügung stand. Später integrierte Angénieux selbst Anamorphot-Systeme in die eigenen Objektive.
Einer der bedeutendsten Kameramänner jener Tage, Willy Kurant, hat sich ausführlich über diese Konstellation geäußert (Lit.*): “I shot my first feature for Agnes Varda, The Creatures, in Black & White, Anamorphic, with a 35-140 mm Angénieux zoom converted to Franscope by the Fellous brothers and Dicop. Roger Fellous, who had worked with me as an assistant, came to my house to calibrate the lens on the camera. We used this one anamorphic lens for the entire movie. It was of excellent quality.“ An diesem Tag (30.03.2019), da ich dies hier schreibe, kam gerade die Nachricht, dass Agnes Varda mit 90 Jahren gestorben ist…
Schon längere Zeit als Sponsor auf den Filmfestspielen präsent, verleiht das Folgeunternehmen „Thales Angénieux“ jährlich seit 2013 einen Preis an Kamerafrauen und -männer: den „Pierre Angénieux ExcelLens in Cinematography Award“.
Willy Kurant hat an anderer Stelle festgestellt, dass gleich die allerersten Angénieux-Zoomobjektivedie gleiche Bildqualität wie gute Festbrennweiten lieferten. So war es konsequent, dass Angénieux die Fertigung von Festbrennweiten für Filmkameras schon bald einstellte – zumal dort ein sehr breites Angebot von Wettbewerbern existierte. Was liegt näher als sich voll und ganz auf das Gebiet zu konzentrieren, in dem man einzigartig und weltweit führend ist?
Zooms für Foto-Kameras:
Der enorme Erfolg der Cine-Zooms war sicher ein Grund dafür, dass Angénieux sich nun viel Zeit ließ, das revolutionäre neue System auch für Foto-Objektive bereit zu stellen. (Zuvor waren auch schon sehr lange keine neuen Festbrennweiten für SLR-Kameras heraus gekommen.)
Dadurch hatten andere Hersteller die Gelegenheit, dieses Terrain früher zu erschließen, wie Voigtländer mit dem Zoomar 36-82 mm f2.8 (1959) oder Nikon mit dem 43-86 mm f3.5 (1963). Beides meines Wissens allerdings noch Vertreter der Vorläufer-Generation der Varifokal-Objektive (mit optischer Kompensation).
Erst 1968 brachte Angénieux das legendäre erste 2-fach Zoom auf den Markt (10 Jahre nach dem ersten 4-fach Zoom für Cine 16 mm). Das 45-90 mm f2.8 wurde bis 1982ausschließlich für Leica SL-(bzw. R-)Anschluss gebaut.
Erst 1982kam das 35-70 mm f2.5-3.3 für alle wichtigen SLR-Anschlüsse heraus, ergänzt im gleichen Jahr durch das 70-210 mm f3.5. Etwa gleichzeitig (1986) wurden noch einmal zwei lichtstarke Teleobjektive ausgeliefert (180 mm f2.3 DEM Apo und 200 mm f2.8 DEM ED), um die fabelhaften Möglichkeiten der neuen ED-Gläser im Tele-Bereich zu nutzen. DEM (=Differentiel Element Movement) war eine spezielle Form der Innenfokussierung, die praktischerweise von den Zooms übernommen werden konnte.
Für das erste Foto-Zoom 45-90 mm berichtet Patrice-Hervé Pont in seinem Buch „angénieux – made in Saint-Heand, Loire, France“ ausführlich den besonderen Hintergrund:
Speziell in Deutschland galt unter Fachkundigen (und das war natürlich jeder, der einen Auslöser durchdrücken konnte) in den 1960er Jahren, dass kein Zoom-Objektiv (ja, auch ich sprach damals nur von „Gummilinsen“!) nur annähernd an eine Festbrennweite heran kommen kann… Pont nennt es in seinem Buch die „doctrine allemande“. Ich kann diese Darstellung wirklich nur bestätigen. In der Folge hat Leica für seine Leicaflex strikt auf Zoom-Objektive verzichtet und kam, als die europäischen Hersteller um 1964 zunehmend unter den Druck der japanischen Hersteller gerieten, dadurch noch verstärkt in Not. Angénieux erkannte dies und bot Leica ein damals gerade durch André Masson(quasi als „Privat-Projekt“) erarbeitetes Foto-Zoom 45-90 mm an. Zu diesem Zeitpunkt war Angénieux schon kein Unbekannter Name im Hause Leitz: so wurde an der 8mm-Filmkamera „Leicina“ bereits ein Angénieux-Zoom 7,5-35 mm eingesetzt. Man wurde einig und lancierte das Foto-Zoom für die Leicaflex exklusiv mit einer speziellen Leica-Ästhetik der Fassung ausgestattet. 12 Jahre lang wurde es geliefert – auch für die Leica R3 (Minolta-Leica) SLR.
1990 gab es während der Dämmerung des Autofokus-Zeitalters noch einmal ein neues 28-70 mm f2.6 Zoomobjektiv mit Autofokus, gebaut für Leica R, Minolta, Nikon, Canon.
Die neuen „Foto-Offensiven“ – intern ab 1964, besonders von André Masson gefördert – führten allerdings zu keinem wirtschaftlichen Erfolg. Sie fielen gerade in die Zeit, in der die europäischen Kamera-Hersteller – großenteils verschuldet durch eigene Fehler! – rasant das Terrain gegen die japanischen Hersteller verloren. Zwar bot Angénieux die neuen Zooms und Teles auch für alle wichtigen Japanischen SLR-Kameraanschlüsse an – die Käufer dieser waren aber sehr preis-getrieben. Die Stückzahlen der Angénieux-Spitzenprodukte waren viel zu gering, um damit Geld zu verdienen: 2.000 Stück gesamt vom 45-90 mm (in 12 Jahren!!!), 15.000 vom 35-70 mm, 10.000 vom 70-210 mm, ca. 4.000 vom 28-70 mm. Die damit (und anderen Projekten, die nicht gut liefen) verbundenen hohen Verluste brachten Angénieux erstmals in wirtschaftliche Bedrängnis. Essilor stieg zunächst 1986 als Merhheitseigner (60%) ein – die Synergien reichten aber nicht.
Dann wurde zwischen 1992-1994, also etwa zeitgleich mit der Übernahme der Firma durch Thales, die Fertigung aller SLR-Kleinbild-Fotoobjektive eingestellt.
Man darf nicht übersehen, dass der Nutzen des Zooms für den Film immens viel größer war als für die Fotografie… Die Existenz des Zooms mit hoher Bildqualität hat sogar die Bauweise der Filmkameras drastisch verändert – und die Arbeitsweise an der Kamera und den Stil der Bilder sowieso. Dieser Effekt ist beim Fotografieren viel geringer – man könnte fast sagen: marginal. Wenn man von der reinen Bequemlichkeit bei Reportagen und auf Reisen mal absieht, gibt es eigentlich keinen „Foto-Bildstil“, der die Nutzung eines Zoom-Objektivs voraussetzt – wenn man einmal von dem manieristischen „Effekt“ des Zoomens während der Belichtung absieht…
Fazit: Dass der Name Angénieux heute in der Fotografie-Szene so relativ unbekannt ist, liegt wohl auch daran, dass das Unternehmen sich bereits vor über 25 Jahren aus dem Segment „Foto“ zurückgezogen hat. Ich hoffe, mein Beitrag macht deutlich, dass es aus dem Blickwinkel der Geschichte der optischen Technik unangemessen ist, das Werk dieses Mann in Vergessenheit geraten zu lassen.
Vielleicht müssen „Fotosaurier“ wie ich mehr dazu tun, die Erinnerung an die wesentlichen Innovationsprozesse der Vergangenheit wach zu zu halten. Ich will versuchen, meinen bescheidenen Beitrag dazu zu leisten.
Meine Quellen zum Thema „Angénieux“:
Die Quellenlage zu Informationen über den Menschen Pierre Angénieux und das Unternehmen sind – gemessen an ihrer Bedeutung – mehr als dürftig. Besonders bei den primären Quellen herrscht weitgehend Fehlanzeige. Da die meisten von uns heute zuerst in die Wikipedia schauen, wird das dort auch deutlich: sowohl in der deutschen und englischen und sogar in der französischen Wikipedia sind die Artikel über Mensch und Unternehmen kurz und dürr. Der Bereich der Zusammenarbeit mit der NASA im Raumfahrtsektor nimmt meist einen unangemessen großen Raum ein. Das sind spektakuläre, medienwirksame Ereignisse. Die wirkliche Bedeutung und Wirkung der Innovationen von Angénieux, vor allem in Film-Bereich, wird aus diesen Wikipedia-Artikeln nicht so richtig sichtbar – auch nicht in der französischen Wikipedia. Vielleicht sollten diese Artikel einmal aktualisiert werden…
Vor ein paar Jahren stieß ich auf eine französischsprachige Monografie über Angénieux in Buchform:
„angénieux – made in Saint-Heand, Loire, France“,Autor: Patrice-Hervé Pont, Editions du Pécari, 2003.
Dieses französischsprachige Buch stellt die Produkte von Angénieux „enzyklopädisch“ und geordnet nach Anwendungsgebieten dar. Viele Detail-Informationen habe ich daraus entnehmen können. Wer Informationen über die bekannten und dokumentierten Produkte aus dem Hause Angénieux sucht, wird hier fündig. Systematisch und detailliert werden alle Objektiv-Typen, ihre Entwicklung über die Jahre, Technische Daten der wichtigsten Produkte bis hin zur Nomenklatur und Objektiv-Nummern behandelt.
Die Monografie ist gewissermaßen von der Firma Angénieux autorisiert, denn der ehemalige Generaldirektor André Masson hat das Vorwort geschrieben.
Ich habe mich über die Jahre durch eine große Zahl von Zeitschriften-Artikeln gepflügt – die ich nicht alle hier auflisten möchte (einige sind in den Wiki-Artikeln aufgeführt), da sie auch meistens nur aus Sekundär-Quellen zitieren.
Neben der Pont-Monografie die wesentlichste Veröffentlichung, die ich hier aufführen kann (und die für den Film-Bereich praktisch alle anderen ersetzen kann) ist die folgende Quelle:
Im Juni 2019 erschien eine neue Monografie in Englisch und Französisch: „Angénieux and the Cinema, From Light to Image“ – Autor Silvana Editoriale, das ich hier noch nicht auswerten konnte.
Copyright Fotosaurier, Herbert Börger
Berlin, im August 2019
Dieser Artikel ist in gekürzter Fassung im Online-Fotojournal „fotoespresso“ 4/2019 erschienen.
Bild von Pierre Angénieux mit freundlicher Genehmigung der Firma Thales-Angénieux.
Heute sich mit einem Triplet (Dreilinser) zu befassen: das wirkt wie aus der Zeit gefallen.
Wozu? Moderne Objektiv-Rechnungen benutzen sechs bis über ein Dutzend Elemente und brüsten sich – meist zu Recht – die meisten optischen Fehler nicht nur axial sondern auch außer-axial weitgehend zu eliminieren. Schon kurz nach seiner Erfindung 1902 wurde das vier-linsige Tessar für lange Zeit zum wirtschaftlich sinnvollen und qualitativ hochwertigen Quasi-Standard. Allerdings: ein Triplet kostete nur etwa die Hälfte…
Das Triplet KANN in der absoluten Bildmitte sehr scharf abbilden – aber bei Bildwinkeln zwischen 45° (KB-Brennweite ca. 50 mm) und 20° (KB-Brennweite ca. 100 mm) ist eine gleichmäßige Abbildungs-Schärfe bis in die Ecken nicht zu erwarten (außer bei Bl. 22).
Wenn man sich beim Triplet allerdings auf einen sehr kleinen Bildwinkel <2,5° beschränken würde (Astro- und Fern-Linsen) kann man damit eine absolut perfekte Optik erzeugen – mit Verwendung modernster hoch-brechender Gläser sogar apochromatisch!
Während 95% meines bisherigen Fotosaurier-Daseins lag ein Dreilinser ausserhalb meines Interessen-Bereiches (außer für Astro-Fernrohre…).
Was hat mein Interesse geweckt?
A – Die überaus positiven Erfahrungen mit dem über 90 Jahre alten ERNOSTAR (übrigens auch ein Ableitung aus dem Standard-Triplet: Cooke-Lens) machten mich neugierig auf weitere frühe Bauweisen;
B – Die Firma Globell (heutiger Nutzer der Markennamen der Meyer-Optik Görlitz) baute neuerdings in Kleinserie (modernisierte) Neuauflagen der Trioplan-Klassiker. Ich nahm selbst am Kickstarter-Projekt für das Trioplan 50 mm f2,9 teil. Zum Schluss werde dazu noch ein paar Bemerkungen machen.
C – Als nun von beiden Trioplan-Objektiven (50 mm und 100 mm) neu aufgelegte „moderne“ Versionen vorlagen, war meine Neugier geweckt, den Charakter dieser Triplets zu erforschen und die alten Optiken mit diesen „Remakes“ zu vergleichen. Gedacht… getan!
Es ist vielleicht ganz gut, wenn der Leser von Beginn an weiß, dass ich mich diesen Objektiven mit einer großen Portion Skepsis genähert habe.
„Schuld“ daran war die Vermarktungs-Strategie der Firma Globell, die als Haupt-Werbeaussage für die Objektive deren „Seifenblasen-Bokeh“ in den Vordergrund stellte. Ich bin grundsätzlich kein Freund von Manierismen: nach dem Betrachten von 5 bis 6 Bildern, die ausschließlich „von dem Seifenblasen-Effekt“ leben, erlahmt mein Interesse spürbar!
Was sind diese „Seifenblasen“ (bubbles)? Sie entstehen durch sehr helle, kleine Bildbereiche (z.B. Reflexe oder Lichtflecken) in einer dunkleren Umgebung und erscheinen außerhalb der Schärfeebene im Bild als „Unschärfe-Kreise“, die umso größer sind je weiter die Lichterscheinung von der Schärfeebene in der Natur entfernt ist – und je größer der eingestellte Blendendurchmesser (z.B. 2,9) ist. Die Scheibchen sind nämlich ein scharf berandetes Bild der physischen Blende des Objektives in der Bildebene. Daher hängt die Außen-Kontur der Beugungsscheiben auch von der Form dieser Blende ab. Bei voll geöffneter Blende sind die Scheibchen immer Kreise. Bei Abblendung mit 5 geraden Blendenlamellen-Segmenten sind die Beugungs-Scheiben Fünfecke. Das kann störend wirken. Deshalb versucht man, mit möglichst vielen (und dann noch leicht gekrümmten Blendenlamellen) auch bei Abblendung einen Kreis zu erreichen.
Das vorstehende gilt grundsätzlich für alle Fotoobjektive – als Ideal einer gut korrigierten Optik wird (heute) angesehen, wenn diese Kreise Scheibchen bilden, die eine möglichst gleichmäßige Helligkeitsverteilung in sich haben. Wenn die Mitte des Unschärfekreises deutlich dunkler ist als der Rand, dann erscheinen die „Seifenblasen“ – die Unschärfe-Scheibchen entarten also zu schmalen Ringen.
Dieser Seifenblasen-Effekt trit nur bei weit offener Blende oder leichter Abblendung dieser Objektive auf. Schließt man die Blende auf Werte von 5,6 oder vor allem darüber, entstehen auch dort Scheibchen mit weitgehend gleichmäßiger Helligkeitsverteilung (oder auch solche, die in der Mitte heller sind).
Was ist das „swirly Bokeh“ ? Das tritt dann auf, wenn größere Bereiche des Bildfeldes nahe dem Bildrand durch unscharfen Vorder- oder Hintergrund gebildet werden, der hohe Kontraste enthält (wie etwa lichtdurchflutetes Laubwerk!). Bei diesen Objektiven werden die Unschärfekreise zum Bildrand hin besonders stark zu Ovalen verzerrt – im Extremfall zu „Katzenagen“. Dadurch entsteht bei sehr vielen solcher kontrastreichen Unschärfekreisen oder auch Unschärfescheibchen der Eindruck eines großen „Wirbels“ (englisch: swirl) um das zentrale Bildobjekt. Dabei wird bei Seifenblasen-Unschärfekreisen der Effekt noch dadurch verstärkt, dass vor allem bei ganz offener Blende der randnähere Teil der Seifenblase wesentlich heller ist, als der innenliegende, wodurch dort die Ringe zu Bögen entarten.
Bei Bild 1 tritt der „Swirl-Effekt“ zum Rand hin nicht auf, weil es ein Ausschnitt aus der Bildmitte ist.
https://flic.kr/p/213S5Q1
Bild 2: Typisches „Swirly-Bokeh“ – Trioplan 50mm f2,9 bei Bl. 2,9 – NEUES Modell (Link bitte
Ich frage mich da: Wie oft kann man den diesen Wirbel, zum Beispiel um ein Porträt, einsetzen, bis das maniriert oder sehr gekünstelt erscheint?
(Technische Bemerkung: wenn Sie in Flickr in die Objektiv-Informationen und EXIF-Daten der Bilder seht, stehen manchmal andere Objektive dort, als ich hier beschreibe. Dies ist ein Bug in der Sony A7RII – wenn man Objektive ohne Kontakte anschließt, bleibt manchmal das vorher verwendete Objektiv dort einfach eingetragen… Beil Bild 2 steht das FE 50mm f1.4 drin – ist aber sicher das neue Trioplan!)
Wie viele Bildsituationen gibt es, in denen die Seifenblasen-Unschärferinge als Gestaltungselement dem Objekt gerecht werden? Dazu muss man wissen, dass die „Seifenblasen“ nur in ganz definierten Licht-Blenden-Abstands-Kombinationen überhaupt deutlich und bildwirksam auftreten. Das dabei entstehende Muster ist dabei sehr schwierig zu kontrollieren. Man konzentriert sich ja eigentlich auf das Haupt-Motiv.
Bild 3: Anleitung von Meyer-Optik für das Seifenblasen-Bokeh
Ich hatte zunächst ein altes Exakta-Trioplan 100mm f2,8 aus den 50/60er Jahren (Zustand fast neuwertig). Es ist allerdings eine Variante, die nur 5 Blendenlamellen hat – was nur beim Abblenden eine Einschränkung darstellt – voll geöffnet bei f2,8 ist auch an diesem Objektiv die Blende natürlich-rund. Ich wusste aus ersten Versuchen damit, dass das Objektiv bei stärkerer Abblendung in der Bildmitte sehr scharf wird und einen sehr harmonischen „natürlichen“ Schärfeabfall zum Rand hat. Dies hatte ich inzwischen ja gerade vom Ernostar gelernt, dass das für Porträts und Naturaufnahmen oft eine sehr schöne Bildwirkung erzeugt.
Dazu habe ich mir dann von einem Händler das damals schon existierende NEUE 100er Trioplan (von Globell) als Neuware gekauft.
In der Folge habe ich am zweiten Kickstarter-Projekt für das 50er selbst teilgenommen – was sich etwas in die Länge zog… (etliche Teilnehmer haben wohl jetzt noch ihr Objektiv gerade erhalten). Ich wurde allerdings mit Glück recht früh „bedient“. Parallel dazu habe ich mir das historische Exakta-Trioplan 50mm f2,9 ebenfalls in einem hervorragenden Zustand beschafft,
Alle Aufnahmen wurden mit der Sony A7RII (42,5 MP) gemacht – die historischen Objektive wurden mit einem Eakta/NEX-Adapter angeschlossen. Die neuen Globell-Objektive habe ich direkt mit Sony-E-Anschluss gekauft.
Ein kleiner Hinweis zu diesen neuen Sony-E Versionen: Globell hat den Ausrichte-Punkt für das Ansetzen des Bayonetts an die Kamera falsch gravieren lassen. Man muss das Objetiv mit dem Markierungs-Punkt etwa bei 10h30 gegen die Kamera halten (so wie das bei Canon oder Fuji-X wäre)…. dann kann man das Objektiv montieren! (Das hatte bei mir beim ersten Versuch, das 100er Objektiv an die A7RII anzusetzen, natürlich zu einer erheblichen Schrecksekunde geführt!!! Irgendwie bin ich dem Fehler dann aber selbst auf die Schliche gekommen, ohne den Hersteller zu kontaktieren….) Das gilt genauso für das 50er in Sony-E-Anschluss!
Nachträglich bin ich nun froh, dass ich mich den Mühen (und nicht unerheblichen Kosten) unterzogen habe, diese Objektive in der Praxis zu erforschen.
FAZIT:
Da die Beschreibung der beiden Trioplane in jeweils alter und moderner Fassung etwas länglich ausfallen wird, nehme ich hier die Schlussfolgerung vorweg und werde dann die Detailergebnisse zum 50er und 100er Trioplan in jeweils eigenen Blog-Beiträgen darstellen.
Warum bin ich froh, die Optiken selbst erforscht zu haben?
–> Ich konnte mit den Trioplanen (besonders dem 50er) Bildergebnisse erzielen, die tatsächlich nach meiner Erfahrung so mit keinem anderen Objektiv möglich sind und auch nicht mit irgendeinem Software-Filter erzeugt werden können. Es handet sich dabei um teils „malerische“ teils „grafische“ Bildwirkungen, die nichts (oder nur mittelbar bzw. in Kombination) mit „Bubble-Bokeh“ oder dem Wirbel zu tun haben. Die Trioplane (alt oder neu) sind aus heutiger Sicht „Kreativ-Linsen“, mit denen man bildnerische Ergebnisse erzielen KANN, die den Aufwand wirklich lohnen – und mit denen jeder nach meiner Überzeugung auch einen eigenen Stil entwickeln könnte – was dem Gegenteil des oben beklagten „Manierismus“ entspricht. Aber: man muss dazu viel Zeit investieren und tief in die Eigenarten dieser Objektive eintauchen. Man muss sich aber auch damit abfinden, dass die Ergebnisse schwer planbar sind… Es gibt eine Vielzahl möglicher Wechselwirkungen zwischen Objektstruktur, Licht und Abbildungsfehlern der Objektive, die man oft im Sucher gar nicht gesehen hat und dann erst bei der Ausarbeitung der Bilder am Computer erkennt. Sehr schöne Überraschungen oft – und durch mehrere Schleifen solcher Erfahrungen wird man hellsichtiger in Hinblick auf weitere solche Ergebnisse. Auf meinem derzeitigen Stand der Erfahrungen bin ich sicher noch weit davon entfernt, das mögliche Potential dieser Optiken auszuschöpfen.
Um den Leser „bei der Stange zu halten“, lege ich nun erst einmal sechs Bilder vor, die illustrieren, was ich mit diesen „Kreativ-Linsen“ jenseits von Seifenblase und „Swirl“ gefunden habe:
Bild 4a: Ziersalbei und Cosmea im tiefen Gegenlicht – Trioplan NEU 100mm f2,8 bei Bl. 2,8 – Ausschnitt rechts unten. Der linke, hohe Salbeizweig steht in der Schärfe-Ebene. Die anderen Zweige verschwimmen nicht in Unschärfe, sondern werden durch die scharf begrenzten Unschärfekreise in pittoreske Skulpturen verwandelt.
Bild 4b: Ausschnitt aus Bildmitte – stärker vergrößert – zeigt die unterschiedlichen Unschärfe-Wirkungen in verschiedenen Bildebenen.
Bild 5b: Detail aus Bild 5a – man beachte die sehr feine Detailwiedergabe in den Wassertropfen auf den Spinnenfäden – und auf der Spinne selbst. (1073 pixel hoher Ausschnitt aus ca. 6000 pixel Bildhöhe der Sony A7RII – 42,5 MP) Die Spinne ist übrigens die „Baldachinspinne“, die den „Altweibersommer“ erzeugt – fleißiges Tier!!! … und hier „in flagranti“ ertappt!
https://flic.kr/p/Z3f97Q
Bild 6: Tränendes Herz (Ausschnitt) – Trioplan NEU 50mm f2,9 bei Bl. 5,6 – zeigt den malerischen Übergang aus der Bildmitte (ganz rechts) zum Bildrand (links)
https://flic.kr/p/213ehJf
Bild 7: Ulmenahorn-Zweig – NEUES Trioplan 50mm f2,9 bei Bl. 4 – Farb-Negativprozess in Photoshop angewendet. Man beachte die grafischen effekte außerhalb der Schärfezone!
Bild 8: NEUES Trioplan 50mm f2,9 bei Bl. 4 – Nahbereich – zwei Blattränder, die außerhalb des Focus sind, bilden grafisch wirkende „Bubble-Chains“ (lokal begrenzte Ketten von Seifenblasen), sehr dezenter Einsatz der „Bubbles“ – der Hintergrund bildet extrem weiches Bokeh.
https://flic.kr/p/215bciq
Bild 9: Zweig einer Zeder, Trioplan NEU 50mm f2,9 bei Bl. 4 – Ausschnitt aus der rechten oberen Ecke des Bildes: durch die starke Koma und die kontraststarke Struktur des Zweiges entsteht ein „Abstraktes Bild“ von großem grafischem Reiz.
(Wenn das Bild in Flickr angezeigt wird, können Sie mit den Pfeilen rechts und links auch durch noch weitere Bilder scrollen!)
Das neu aufgelegte 50er Trioplan von Globell unterscheidet sich von einem historischen Trioplan 50 gravierend durch die in der Neuauflage hinzugefügte Naheinstellung (etwa bis Maßstab 4:1) durch Verstellen des vordersten Linsengliedes.
Dies war nun eine wirklich geniale Idee: es erweitert die Einsetzbarkeit der Optik in einen Bereich, in dem die optischen Reize des Trioplans besonders zur Wirkung kommen. Ich schätze, dass ich selbst derzeit ca. 75% der Aufnahmen mit dem 50er in diesem Nahbereich mache. Darin liegt der mit Abstand höchste kreative Reiz für mich.
Wegen dieser Naheinstellungs-Möglichkeit würde ich dem neuen Trioplan 50 immer den Vorzug vor einem „historischen“ Exemplar geben, obwohl mir auf größeren Entfernungen die alte 50er Optik ein bisschen besser gefält (höherer Kontrast bei voller Öffnung). Bei dem 100er Trioplan sehe ich keine nennenswerten Unterschiede bei NEU gegen ALT.
Die Detaillierten Effekte, die sich aus den optischen Eigenschaften der Objektive, der Struktur des Motivs, den Lichtverhältnissen und meinen Erfahrungen ergeben können, sind allerdings sehr schwer vorhersehbar und planbar. Mit zunehmender Erfahrung wird das besser werden. Aber ich garantiere Ihnen, dass Sie am Bildschirm in Ihren Bilddateien immer wieder große (positive!) Überraschungen erleben werden, die Sie im Sucher der Kamera nicht gesehen haben! Nur wenn Ihnen das Freude bereitet, lohnt sich das Objektiv für Sie – eine „Wundertüte“ sozusagen.
Abschließend noch eine Bemerkung zum Thema „Pixel-Peeper“:
Ein Dreilinser ist erwartungsgemäß nicht der große „Renner“ bei der klassischen, meßtechnischen Objektiv-Auflösung. Wozu dann eine Kamera verwenden, die eine so extrem hohe Auflösung wie die A7RII mit 42,5 MP hat?
In der Bildmitte kann das Trioplan (wie schon das Ernostar von 1925!!!) die Auflösung dieser Kamera wirklich nutzen!
Im Rand-Eckenbereich treten selbstverständlich erhebliche außeraxiale Bildfehler auf – Beugungs-Scheiben und Ringe, sehr spezielle astigmatische Effekte, Beugungen und – vor allem! – Koma. Die Koma bildet aus Lichtpunkten ausgedehnte geometrische Figuren: „Schwalben“ oder gar „Schleifen“. Wenn die Struktur des Motivs interessant ist, überlagern sich diese „Fehler“ zu sehr schönen grafisch strukturierten Mustern (s. Bild 4b und 9). Diese Strukturen sind überraschenderweise so fein gegliedert, dass auch dadurch wieder die hohe Auflösung der Kamera von sehr großem Nutzen ist!
Ich kenne keinen anderen Objektiv-Typ, der aus „Bildfehlern“ so aufregende Strukturen bildet! Aufgrund dieser Eigenschaften des 50er Objektives werde ich mich so bald nicht mehr von ihm trennen und freue mich noch auf viele „Entdeckungsreisen“ damit.
In den nächsten Berichtsteilen werde ich mich detaillierter mit dem Trioplan 50mm f2,9 (Teil 2) und dem 100mm f2,8 (Teil 3) beschäftigen, jeweils im Vergleich ALT gegen NEU. („Work in progress“!)
Ab 15. Oktober baute sich endlich die nötige Wetterlage für den Eintritt des Phänomens „Altweibersommer“ auf: vor der Tiefdruckrinne des Hurricanes, der über die Britischen Inseln zog strömte die Warmluft aus dem Mittelmeer-Raum zu uns.
Erste zarte Gespinste waren auf den Pflanzen hier und da schon zu sehen.
Was noch fehlte, war der Morgennebel (Morgentau alleine reicht meist nicht!). Heute – am 18.10.17 war es so weit.
Als der Morgen-Nebel sich im Südosten Berlins hob, waren sie da – die bizarren Kunstwerke der Baldachinspinnen:
Bild 1: Rosenknospen im „Altweiber-Sommer-Look“
Hier war der Spinnweben-Schmuck heuer zwar bei weitem nicht so üppig wie 2016 im Westmittelfranken (Siehe meinen Blog-Beitrag aus 2016 – https://fotosaurier.de/?p=243 ) aber die „Beute“ für den Liebhaber-Fotografen war dennoch wunderschön.
Ich hatte 2016 versprochen, in diesem Jahr vorbereitet zu sein, um den wahren Akteur (natürlich die Baldachinspinne – das WETTER hilft ja nur!) auch zu präsentieren.
Hier ist sie nun – jedenfalls glaube ich, dass sie das sein sollte:
Bild 2: Baldachinspinne (?) bei der Arbeit am Altweibersommer – ca. 2 mm langer Körper (Ausschnittvergrößerung)
Die flitzte an den Spinnweben auf und nieder – ich kann allerdings nicht ausschließen, dass dies doch eine andere Spinnenart ist, die auf dem Werk der Baldachinspinne spazieren ging… auf dem Wikipedia-Bild erscheinen ihre Beine im Vergleich deutlich länger zu sein. Hier hat das Tier wohl die Beine eingefaltet, weil ich zu nah dran war…
Weiter unten (Bild 11) habe ich allerdings noch ein weiteres Spinnen-Exemplar rein zufällig erwischt: ich sah es erst bei der Kontrolle der Aufnahme in starker Vergrößerung. Bei dieser bin ich ganz sicher, dass es die Herstellerin des Gespinnstes ist!
Hier die Vergrößerung bei 100% (Ausschnitt mit Bildhöhe ca. 800 Pixel).
Bild 3: Baldachinspinne (!) bei der Arbeit – Ausschnitt-Vergrößerung mit TRIOPLAN 50
Hier noch einige Bilder einfach als ästhetischer Genuß:
Bild 8: Altweibersommer 2017 – Farbenpracht im filigranen Netz
Zur fotografischen Technik:
Die Aufnahmen im Jahr 2016 (siehe früherer Blog-Beitrag) hatte ich wie heute mit der Sony A7RII (42,5 MP BSI-Sensor) überwiegend mit den Objektiven Ernostar 100mm f/2 (über 90 Jahre alt!) und Leica Apo-Macro-Elmarit (80er Jahre) aufgenommen.
In diesem Jahr habe ich das Voigtländer 65mm f/2 Apo-Lanthar (bis Macro 2:1) verwendet.
Die Fokussierung erfolgte grundsätzlich manuell.
Das Voigtländer 65mm ist ein massives, voluminöses Objektiv, das satt und schwer in der Hand liegt, was zusammen mit dem Sensor-IS-System der Sony auch relativ lange Belichtungszeiten erlaubt – alle Aufnahmen bei ISO400.
Bild 9: Voigtländer Apo-Lanthar 2,0/65mm an der Sony a7rII – maximal-Auszug mit 2:1
Zum Vergleich dazu habe ich auch noch Aufnahmen mit dem neu aufgelegten Meyer-Görlitz Trioplan 50mm f/2,9 gemacht, das auch eine Naheinstellung durch verstellen des vorderen (von nur 3 !!!) Linsengliedes ermöglicht:
Bild 10: Meyer-Görlitz Trioplan 2,9/50mm an der Sony a7rII
Eine Dreilinser-Optik („Triplet“) kann ausserhalb der Bildachse weder bezüglich Astigmatismus noch Koma auch nur annähern auskorrigiert werden. Die Optik besitzt also typische Bildfehler, die man zur Erzeugung quasi malerischer Wirkungen einsetzen kann – manche Bilder wirken dann wie „geträumt“.
Einige Beispiele:
Bild 11: Trioplan-Foto Altweibersommer-Rose Blende 8 – mit der Spinne ganz oben links
Ich hatte zuletzt die Situation herausgearbeitet, dass am 42 MP-Sensor der Sony A7RII bei zunehmander Abblendung (deutlich über Bl.4,5) ein zentraler Streulichtfleck im Mittelbereich des Bildes entsteht, der zuhnehmend dort den Kontrast degradiert.
Am 24 MP-Sensor der Fujifilm X-Pro2 tritt diese Erscheinung nicht auf. Allerdings sind die Bilder nie direkt vergleichbar, da die Fuji nur APS-C-Format abdeckt.
Die Vermutung liegt nahe, dass der Streulicht-Fehler auf einer speziellen Wechselwirkung zwischen der Oberfläche des Sony-Sensors und dem Ernostar beruht und nicht eine reale Eigenschaft des Ernostar selbst ist.
Aber ich hätte es gerne genau gewußt!
Also muss der Fotosaurier nach über einem Jahrzehnt mal wieder zur Analog-Fotografie zurückkehren…. Schnell gesagt – nicht so leicht getan!
Denn: wie fotografiert man nun mit einer Optik mit M39-Gewinde und ohne Leica-spezifische Fokussiervorrichtungen des Objektivs auf Analog-Film? Und es geht ja nicht darum mal eben ein Bild zu machen: es sollten sehr präzise Vergleichsbilder gemacht werden…
Schritt 1: Eine Analog-Kamera dafür aussuchen!
1A) Da hatte ich eigentlich zunächst keine große Auswahl: die einzige Entfernungsmesser-Kamera mit M39-Gewinde, die ich zur Zeit besitze ist die Canon 7. Und welcher Film? Da wählte ich spontan meinen lange heißgeliebten Velvia 100.
Im folgenden Bild sieht man die Canon 7 – allerdings mit dem grandiosen Canon 85mm f/1.8, mit dem die Verglaichsaufnahmen auf dem selben Film gemacht werden sollten.
Bild 1: Canon 7 (RF) mit dem legendären Canon 85mm f1.8
Schritt 2: Fokussieren!
Im ersten Ernostar Blog-Beitrag hatte ich bereits im Zusammenhang mit der Fokussierproblematik an der Fujifilm X-Pro2 über diese Idee berichtet: Objektiv an der Sony A7RII fokussieren, dann die Fokussierposition fixieren – umsetzen auf die andere Kamera: Foto. Zugegebenermaßen kein Verfahren für eine spontane Street-Fotografie-Situation – aber für Testaufnahmen machbar. Und an der Fuji funktionierte das ja auch schon ganz gut. In der Folge – und mit ein bisschen Übung – sollte sich das dann auch als probates Verfahren erweisen… schließlich gelang das tatsächlich absolut punkt-genau!
Schritt 3: Analog-Film prozessieren!
3A) Hier bin ich im ersten Anlauf gescheitert: den belichteten Velvia 100 gab ich in einem Drogeriemarkt zur Entwicklung ab…. was zurück kam, war eine Dia-Emulsion, die erstens total verdreckt war und zweitens so verquollen und verschwurbelt war, dass die Aufnahmen nur ungefähr wieder zu erkennen waren! No way! Aber wahrscheinlich selbst schuld… ich hätte wohl vorher jemanden fragen sollen, wo man heute ein Fotolabor seines Vertrauens finden kann….
Nun hatte ich schon ziemlich viel Zeit investiert und wollte nicht noch weiter eine Odyssee durch ein Neben-Thema der ganzen Geschichte durchlaufen.Ich erinnerte mich daran, weshalb ich 3/4 meines Lebens mit der Selbst-Entwicklung von Schwarz-Weiß-Filmen verbracht habe: das Fotolabor seines Vertrauens ist man SEBST! Also kurzfristig alles wieder beschafft (Mit On-Line-Einkauf war binnen 2 Tagen alles da!!!). Am dritten Tag hing der nach 11 Jahren der erste wieder selbst entwickelte SW-Film zum Trocknen da!
3B) Um mit der Belichtungszeit über einen breite Blendenbereich Reserve zu haben, wählte ich dieses Mal den geliebten alten 400er S/W-Film TRI-X-Pan für das Vorhaben aus. Keine Experimente: Entwicklung mit D76 1:2. Das war wie mit dem Radfahren: man verlernt es nicht! Für den angestrebten Zweck (Untersuchung der Streulicht-Situation in der Bildmitte) ist der Wechsel zum Schwarzweiß-Film kein Problem: Licht ist Licht!
1B) Vorher ging es aber zurück auf Los: plötzlich fiel mir ein, dass ich ja den so minimalistisch anmutenden Adapter-Ring „LTM (M39) auf LeicaM“ besaß. Damit kann ich M39-Objektive an eine ziemlich moderne Kamera – die Konica Hexar mit LeicaM-Bajonett anschließen… und noch das Leica Apo-Summicron 90f2,0 ASPH dazu als Referenz verwenden. Die Konica Hexar ist der Grund, weshalb ich keine Leica-M-Kamera besitze. Es ist eine Leica-M aber mit 1/4000 sec, Motor-Filmtransport und TTL-Belichtungsmessung. Die hat mir nicht nur bei Bl. 2,0 und 2,8 das Graufilter erspart, sondern auch noch den ganzen Film perfekt belichtet…
Bild 2: Konica Hexar – hier mit Leica M Apo-Summicron 90mm f/2 ASPH
Die Fokussierung ging genau wie vorher beschrieben über die Sony A7RII – nur inzwischen mit viel mehr Übung.
Aber vor die Digital-Datei von einem Analog-Film haben die Götter nun mal den Scanner gesetzt!
Schritt 4. Digital-Scan des Anolog-Filmes mit Reflecta RPS 10M und SilverFast 8
Nach einigen Stunden Einarbeitung funktioniert die Zusammenarbeit mit dem hochauflösenden Reflecta-Scanner RPS 10M gut. Nur die mitgelieferte Scansoftware läuft irgendwie sehr „hakelig“ – könnte auch an mir gelegen haben. Ich bin der Sache nicht völlig auf den Grund gegangen.
Also habe ich noch eine weitere Runde gedreht und auch noch in die SilverFast-Software investiert. Da ging die Sache nach kurzer Einarbeitung dann wie geschmiert – zumal das Programm Voreinstellungen für Filme wie Tri-X besitzt! Wichtig ist für präzise pixelgenaue Vergleichs-Scans, dass man Optimierungsmodule wie Schärfen und Staubbeseitigung völlig ausschaltet!
Schritt 5. Und damit liegt nun der Anolog-Film-Gegencheck auf SW-Film vor:
5A) Belichtungsreihe mit dem Ernostar 100mm f/2,0:
Bild 3: Ernostar 100 f/2,0 mit Bl. 2,0 auf Tri-X
Bild 4: Ernostar 100 f/2,0 mit Bl. 4,5 auf Tri-X
Bild 5: Ernostar 100 f/2,0 mit Bl. 13,0 auf Tri-X Ich erkenne auf diesen Bildern keine Anzeichen von Streulicht-Halo oder Kontrastminderung in der Bildmitte! Was zu beweisen war: Streulichtreflexe zwischen Sensoroberfläche und Linsenflächen des Ernostar (ohne Vergütung!) sind die Ursache für den effekt am Sony-Senor der A7RII. Da wir einmal dabei sind, füge ich die unter identischen Bedingen auf demselben Tri-X-Film belichteten und entwickelten Aufnahmen mit dem Leica Apo-Summicron-M 90mmf2.0 ASPH
Bild 6: Leica Apo-Summicron-M 90mmf2.0 ASPH bei Bl. 5.6 an der Konca Hexar RF auf Tri-X Pan (vergessen vorher auf dem Film Staub abzublasen)
und mit dem Kult-M39-Objektiv Canon 85mm f1.8 hinzu.
Bild 7: Canon RF (M39) 85mm f1,8 bei Bl. 8 an der Konca Hexar RF auf Tri-X Pan
Qualitätsvergleich der drei Objektive auf Analog-Film:
Ich habe die Bildausschnitte der drei Brennweiten 100mm, 90mm und 85 mm angeglichen, damit die Übersichtsbilder hier gleich erscheinen. Geht man allerdings auf die volle Vergrößerung, ist der Effekt der unterschiedlichen Brennweiten wieder sichtbar.
Ich hatte nicht erwartet, bei Verwendung des Tri-X ISO400 (belichtet wie ISO320) einen nenneswerten Unterschied in der Bildqualität in der Bildmitte zu finden, da das Korn dies vermutlich verhindern dürfte, so fein aufzulösen. Erwartet hatte ich einen deutlich höheren Bildkontrast mit dem Leica Apo…
Die Tri-X-Scans haben eine Auflösung, die 25 MP bei einer Kamera entsprechen würden. Ich war jetzt aber wieder verblüfft über die Kantenschärfe der Bilder auf den relativ grobkörnigen Film… phänomenal!
Zu der gewählten Aufnahmeszene „Siedlung am Hang“: diese hat für mich den Vorteil, dass durch die enge Tiefenstaffelung der Szene ein Fokussierfehler leicht dadurch zu entdecken ist, dass nicht der Bereich, auf den ich scharf stellen will (die Spitze des Dachfirstes mit dem flachen Neigungswinkel etwa in der unteren Bildmitte) sondern ein Bereich davor oder dahinter… und es gibt auch in der geplanten Schärfe-Ebene Elemente nahe dem Bildrand oder sogar nahe der Bildecke.
Klar, wie zu erwarten, dass das Ernostar von 1922 am Rand und in der Ecke mit den beiden „jüngeren“ Objektiven nicht mit kommt! Hervorragend, wie sich das Canon-Objektiv von 1961 am Rand schlägt!
Verblüffenderweise ist hier allerdings in der Bildmitte das Ernostar bei der Auflösung leicht im Vorteil – auch gegenüber dem doch schon sehr modernen Apo-Summicron 90mm f2.0 ASPH von ca. 1990. Frank Mechelhoff hat ja in einem seiner Artikel darauf hingewiesen dass dieses Objektiv einen sehr ähnlichen Linsenschnitt (5-Linser!) hat wie das Canon RF 85mm f1.8.
Vielleicht entsteht der Eindruck in diesem Vergleich aber nur durch die unterschiedlichen Brennweiten (10% stärkere Vergrößerung mit dem Ernostar…).
Ich werde das baldmöglichst in einem weiteren Bericht mit einem sehr feinkörnigen Film und mit dem hoch-auflösenden Fuji-Sensor für die Bildmitte versuchen zu verifizieren.
Fazit: der Streulicht-Halo in der Bildmitte mit dem Ernostar an der Sony A7RII ist ein Artefakt, das durch die Kombination Objektiv/Sensor entsteht. Zwischen Bl. 2 und 4 hat man aber an der Sony auch eine hervorragende Bildqualität. Randscharfe Bilde erfordern mit dem Ernostar Bl. 8-16. Diese sind mit der Sony im Vollformat nicht brauchbar.
Daher werde ich hier einen anderen Weg beschreiten: das Ernostar „liegt derzeit im OP“ und wird auf einen anderen Kamera-Anschluß umoperiert… mehr dazu in Kürze!
fotosaurier, 07.Februar 2017
(P.S.: … leider nicht „bald“ möglich gewesen: Dem Autor kam ein Umzug von Mittelfranken nach Berlin mit entsprechender „Aklimatisierung“ und eine zweite Hüft-Endoprothese dazwischen … aber nun bald! Der Text ist schon fertig! Berlin, den 3. Okt. 2018 )
Nicht nur dem fotosaurier fällt bei diesem Anblick sofort der Begriff „Altweibersommer“ ein… und wie es sich für ihn gehört, hat er eine gute Kamera schnell greifbar, um von dem faszinierenden Phänomen ein paar Lichtbilder zu machen.
Ich kann bezeugen, dass in unserem Garten nachts keine alten Weiber sitzen und spinnen und weben… Der aufgeklärte Mensch erkennt sofort, dass hier Spinnen am Werk waren, denen sicher nicht bewusst ist, dass sie mit ihrer Arbeit einen Fotoamateur glücklich machen können. Es sei gleich hinzugefügt, dass der Begriff „Altweibersommer“ auch unter dem Aspekt der politischen Korrektheit unbedenklich ist: es gibt wohl ein Landgerichtsurteil (1989), laut dem eine reifere Dame durch diesen Begriff nicht „beleidigungsfähig“ sei!
Als Wikipedia-Unterstützer erlaube ich mir, dies hier zu zitieren:
„Altweibersommer ist die – keinesfalls frauendiskriminierende! – Bezeichnung für eine meteorologische Singularität. Es handelt sich um eine Phase gleichmäßiger Witterung im Spätjahr, oft im September, die durch ein stabiles Hochdruckgebiet und ein warmes Ausklingen des Sommers gekennzeichnet ist.
Nach der einen Erklärung leitet sich der Name von Spinnfäden her, mit denen junge Baldachinspinnen im Herbst durch die Luft segeln. Der Flugfaden, den die Spinnen produzieren und auf dem sie durch die Luft schweben, erinnert die Menschen an das graue Haar alter Frauen. Mit „weiben“ wurde im Althochdeutschen das Knüpfen der Spinnweben bezeichnet. Nach der anderen Erklärung, in der von Kluge/Seebold die „vielleicht“ ursprüngliche, von Pfeifer hingegen „wahrscheinlicher“ eine sekundäre Bedeutung gesehen wird, liegt dem Wort das Motiv der zweiten Jugend bei Frauen, die als unzeitig und nur kurze Zeit dauernd angesehen wird, zugrunde.„
Wie schon das Bild 2 überdeutlich zeigt, haben die Spinnen-Netze eine ganz andere Struktur als die sonst im Sommer üblichen symmetrischen radförmigen Netze in den Zwischenräumen zwischen Stauden, Büschen etc.: vielmehr sind die Pflanzen und Gegenstände selbst „umsponnen“ – wie ich finde in einer poetischen Weise, die den Fotosaurier begeisterte – folgend eine kurze erste Fotostrecke:
Bild 3
Bild 4
Bild 5
Bild 6
Bild 7
Diese vorstehenden Bilder wurden alle mit Fujifilm X-T2 und dem Makro-Objektiv 60mm f2.4 bei F4…f5,6 am 31.10.2016 vormittags gemacht.
Mich hat zunächst die Diskrepanz zwischen der Datums-Angabe „oft im September“ in Wikipedia und dem hier dokumentierten Datum (31.10.) verwirrt… stieß dann aber auf alte Bauernregeln, die sagten, was passieren sollte, wenn der Altweibersommer am 1.11. oder 15.11. auftritt. Schließlich stieß ich auf statistische Aussagen von „MeteoSchweiz“, die feststellen, dass in den letzten 35 Jahren die größte Häufung des Wetter-Phänomens nun zwischen dem 25.10 und 27.10. liegen soll! Entsprechend müsste die Darstellung in Wikipädia wohl in Bezug auf jüngere Erkenntnisse einmal überarbeitet werden.
Die folgenden Bilder zeigen, dass es sich am 31.10./1.11.2016 tatsächlich um die für den Altweibersommer als typisch beschriebene Hochwetterlage mit klarer Luft handelte:
Bild 8: Wetterlage über dem Ehegrund am 1.11.2016, vormittags
Bild 9: Altweibersommer-Licht am Garten am 1.11.2016
Die Spinn-Fäden, die hier zu sehen sind, stellen auch sicher nicht die „Flugfäden“ dar, mit denen die Baldachinspinne Entfernungen von mehreren hundert Kilometern überwinden soll. Die Fäden sind sicher „in Endlosproduktion“ um die Planzen herumgesponnen worden. Ich kenne auch von früher die herumfliegenden Fäden – habe sie aber dieses Jahr nicht beobachtet – wie ich auch überhaupt noch nie die „Baldachinspinne“ bewusst beobachtet habe. Für 2017 werde ich mich entsprechend vorbereiten und dann auf die (Foto-)Jagd nach dem Tierchen gehen, um sie – möglichst im Flug an ihrem Flugfaden!!! – hier präsentieren zu können….
Wenn man in die Bilder in Originalgröße „hineinspaziert“ (Anleitung: Klick auf das Bild – dann öffnet das Bild in Flickr – am Download-Symbol rechts außen „alle Größen“ wählen und in dem Fenster dann „Original“ wählen – allerdings wird die Originalgröße nur angeboten, wenn man auf Flickr angemeldet und eingeloggt ist – sonst werden max. 2048 Pixel Breite angeboten als „Groß“) sieht man deutlich, dass die Sichtbarkeit der hellen leuchtenden Gespinnste nicht von den extrem dünnen Spinnfäden bestimmt wird, sondern von einer lückenlosen engen Kette von Tautropfen, die auf den Spinnfäden wie Perlen auf einer Schnur sitzen (nicht zu verwechseln mit den „Klebetropfen“, die auf anderen Spinnfäden in größeren Abständen sitzen!). Die Tautropfen haben nach meiner Abschätzung etwa den 10 – 25-fachen Durchmesser verglichen mit dem Spinnfaden. Der Spinnfaden wird typischerweise mit 2,5 µm Durchmesser angegeben. Zum Vergleich: menschliches Kopfhaar hat Durchmesser von 25 – 90 µm!
Da das Spinnweben-Phänomen mit einer Hochdruck-Schönwetterlage verbunden ist, zieht tagsüber trockene Luft ein und die Tautropfen verschwinden mehr oder weniger schnell. Damit sinkt auch das Potential zur Tau-Bildung am folgenden Morgen: die Tautropfen werden dann deutlich kleiner ausfallen – und genau das sieht man auf den folgenden Bildern, die am 1.11.2016 morgens/vormittags entstanden sind.
Hier habe ich bewusst auch meine andere Digitalkamera, die Sony A7RII, verwendet. Da ich gerade in der Endphase der Arbeiten am ERNOSTAR-Bericht war, kam das über 90 Jahre alte Objektiv Ernostar 100f2.0 zum Einsatz, und zum Vergleich das Apo-Macro-Elmarit 100mm f2.8 aus den 80er/90er Jahren, das ich als „Referenzobjektiv“ bei 100mm Brennweite einsetze. Beide Objektive können an der Sony nur mit manuellem Focus eingesetzt werden, was mir aber stets eine sehr hohe Trefferquote bzgl. der Lage der Schärfeebene beschert!
Alle Aufnahmen freihand (Verschlußzeit nie unter 1/250 s! – trotz sensorgestütztem IS)
Bild 10: Betaute-Spinnweben-Wiese am Folgemorgen – jetzt mit Apo-Elmarit an der Sony mit 42,5 MP-Sensor
Bild 11: Detail-Aufnahme der Wiese mit dem Ernostar 100f2.0 bei f6,3
Bild 12: Dieselbe Rosenknospe wie bei Bild 2 jetzt am 1.11.2016 – mit dem Apo-Macro-Elmarit 100mm f2.8 – Bl.5,6
Bild 13: Hier etwas später dieselbe Szene mit dem Ernostar 100mm f2.0 bei Bl.4 – die Schärfentiefe beträgt hier im Nahbereich am 42,5 MP-Sensor nur wenige mm in der Natur: aber in der Bildmitte liegt das über 90 Jahre alte Objektiv (ohne Vergütung!) in der Schärfe gleich auf mit dem legendären Leica-Boliden.
Man sieht im Vergleich zu Bild 2 deutlich, dass es sich noch um dasselbe Spinnen-Netz handelt – aber nun mit viel kleineren Tautropfen besetzt!
Bild 14: Mit dem Ernostar 100mm f2.0 bei Bl.13 – geschützter Bereich im Garten mit vielen größeren Tautropfen
Bild 15: Mit dem Apo-Macro-Elmarit 100f2.8
Bild 16: Ebenfalls Apo-Elmarit 100mm f2.8 – Vergleichsbild zu Bild 15 – 17 im Ernostar-Artikel, Teil 1. In der Bildmitte erscheinen mir die Details mit dem 92 Jahre alten Ernostar sogar noch plastischer…
Bild 17: Mit Ernostar 100f2.0 – hier waren die Tautropfen an den Spinnfäden bereits völlig verdampft – aber die Rosenblätter noch völlig tau-nass!
Bild 18: Enger Ausschnitt um die Schärfe-Ebene aus Bild 16 (Apo-Elmarit) – vergrößern und tief eintauchen in diese pittoreske Raumwelt
Bei vielen dieser umsponnen-betauten-Blumenobjekten führt einen starke Vergrößerung (Bilder 18 + 19) zu geradezu phantastisch anmutenden 3D-Räumen, wenn man sie sich bei voller Vergrößerung im Original ansieht (über Flickr (s.o.) auf die Originalgröße gehen!)
Bild 19: Mit Ernostar 100f2 eintauchen in phantastische 3D-Welt auf einer Dahlie
Bild 20: Detail einer betauten Rose mit Apo-Macro-Elmarit 100mmf2.8 (Sony A7RII)
Diese Fotomotive sind sehr vergänglich! Sie entstehen über Nacht durch die unvorhersagbare Tätigkeit fast unsichtbarer Wesen und wohl besonders am frühen Morgen beim Fall des Taus und verändern sich mit Sonneneinfall und Luftbewegung von Stunde zu Stunde… Ich kenne nur ein anderes – in der Entstehung ähnliches – Phänomen, das noch wesentlich „volatiler“ (also flüchtiger) ist: Die Reifbildung. Sobald die Reifkristalle auf einer Pflanze oder einem Gegenstand im Sonnenlicht bizarr aufleuchten, beginnt ihre unaufhaltsame Zerstörung durch den Wärmeanteil derselben Strahlen! Man hat da wirklich nur wenige Minuten Zeit, um das im Bild festzuhalten!
Hier ist der Physiker in seinem Element: wenn es gilt zu begreifen, dass man ein Objekt niemals betrachten kann, ohne es zu verändern – das Objekt, das bilderzeugende Licht und der Betrachter bilden ein System, das miteinander unauflöslich verbunden ist. Ein Foto ist eine sehr schmale (zeitliche) Schicht, die wir aus diesem unauffhörlichen Fluß der Veränderung „herausschneiden“ – und dann als Lichtbild präsentieren. Diese Erkenntnis läßt mich einerseits sehr bescheiden werden in Bezug auf die Einschätzung meiner Möglichkeiten – manchmal macht es mich aber auch froh und zufrieden, wenn es mir gelungen ist, einzelne „Zeitscheibchen“ erhascht zu haben, die mein ästhetisches Empfinden befriedigen.
Jedes Altweibersommer-Bild ist ein „Unikat“: beginnend mit dem Wuchs der Pflanzen und der individuellen Aktivität der Spinnen haben dann Temperaturen, Luftfeuchtigkeit, Lage am Hang oder im Tal, Datum, Uhrzeit, Sonnenstand, Tageszeit, Luftbewegung Einfluss auf das Ergebnis … und nicht zuletzt das Auge und die Erfahrungen des Betrachters – und natürlich auch die Ausrüstung, die er verwendet. In hunderten von Jahren wird nicht eine völlig identische Aufnahme dieses Phänomens entstehen… das ist das für mich eigentlich Faszinierende an derartigen Naturfotografien!
Und noch eine Anmerkung: ob nun Tau, Altweibersommer oder Reifbildung – alle diese Naturphänomene haben eines gemeinsam: sie ereignen sich ausschließlich morgens – ggf. sogar am frühen Morgen. Es soll nun ja Menschen geben, deren Schlaf-Wach-Rhytmus derart gestaltet ist, dass sie diese Naturwunder NIE IN IHREM LEBEN zu sehen bekommen… man könnte auch einfacher sagen, dass diese Menschen keine Frühaufsteher sind!
Genau für diese Menschen leisten andere – wie ich – diese aufopferungsvolle Schaffenstätigkeit am frühen Morgen, damit auch sie einmal wenigstens im Bild sehen können, weche wunderbaren Dinge die Welt auch schon (und nur!) am frühen Morgen für uns bereit hält!
Ich erkläre hier mit Nachdruck, dass ich solche Aufnahmen niemals manipulieren würde! Alle Aufnahmen entstehen aus der von der Natur gebildeten Objekt-Situation bei vorhandenem, natürlichem Licht. Dies dann in der zur Verfügung stehenden Zeit einzufangen und zum „Lichtbild“ zu formen, befriedigt mich, wenn es gelingt! Die Situation manipuliert herbei zu führen ist nicht mein Ding!
Schöne Bilder zu machen, bei denen man irgendwie „nachgeholfen“ hat, ist völlig in Ordnung – wenn man dazu sagt, dass und wie man es gemacht hat….