Neues von unserer Garten-Spinne

Es bleibt aus den letzten Wochen folgendes Ereignis nachzutragen:

Am 18.07.2020 wurde ich morgens um 07:15 h in unserem Garten Zeuge eines erfolgreichen Rekordversuches unserer Gartenspinne:

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Bild 1: Langstreckenrekord unserer Chef-Gartenspinne am 18.07.2020 (Bild von 102 MP auf 12 MP heruntergerechnet) – Länge des Fadens: knapp 6 Meter  etwa 3 Meter über dem Boden.

Das war übrigens bei uns in diesem Jahr 2020 bisher der erste (und bis heute einzige) Morgennebel – und der war nur schwach ausgebildet! Hätte es den Nebel nicht gegeben, hätte ich dieses Werk der Gartenspinne nicht gesehen – denn was dort im Foto sichtbar wird, ist in dieser Form eine „Perlenschnur“ von Wassertropfen, die sich in dem Nebel an dem Spinnfaden in gleichmäßiger Größe und Abstand gebildet haben.

 

Altweiber-Morgennebel

Bild 2: Langstrecken-Rekord ihrer Ur-Großmutter am 06. Juni 2017, morgens um 7:10 – in dem Jahr war Morgennebel häufiger (Bild von 18MP auf 12 MP herunter gerechnet). Länge des Fadens: 4,5 Meter.

Das sind beeindruckende „Bauwerke“ – aber was stellen sie physikalisch wirklich dar?

Solche Fäden entstehen in einer winzigen bio-chemischen „Fabrik“ (d.h. „Drüse“) im hinteren Körperbereich der wenige Millimeter oder Zentimeter großen Spinne. Durch die Austrittsdüse wird das austretende Material durch die Bewegung der Spinne zum Faden geformt. Besonders Eindrucksvoll sieht man das, wenn eine Spinne sich „fallen“ läßt und dabei an ihrem Spinnfaden hängt. D.h. SOFORT nach dem Austritt des Materials ist der Faden hoch belastbar.

Damit nicht genug, kann eine Spinne die „Rezeptur“ des Spinnfadenmaterials kurzfristig dem Bauwerkszweck anpassen – sie kann bis zu sechs verschiedene Fadeneigenschaften erzeugen. Bei der Spinne, die Radnetze herstellt, sind es zumindesten zwei sehr unterschiedliche Fadenarten:

  1. Tragfäden mit ca. 4 Mikrometer Durchmesser, die sehr steif und fest sind – E-Modul 10 GPa (Gigapascal) und Festigkeit 1.100 MPa (Megapascal) bei ca. 25% Dehnbarkeit bis zum Reißen. Mit ihnen ist das innere Radnetz an der Umgebund befestigt.
  2. Fangfäden mit etwa einem Zehntel des E-Moduls („weicher“) und der etwa zehnfachen Dehnung bis zum Reißen. Dise Fäden haben ca. 2,5 Mikrometer Durchmesser und sie tragen in ca. 0,1 mm Abstand klebrige Tröpfchen.

Damit spielt die Spinnenseide in der Oberliga unserer High-Tech-Synthetikfäden mit!

Ich gehe davon aus, dass die mehrere Meter langen, fest verankerten Fäden als Tragfäden hergestellt wurden. Welche physikalischen Eigenschaften hat das eindrucksvolle, 6m lange Bauwerk?

Der Literatur entnehme ich, dass die Dichte der Spinnenseide 1,3 Gramm/Kubikzentimeter beträgt.

Bei 4 µm Durchmesser und 6 m Länge wiegt der Spinnfaden 10 Mikrogramm (µg). Die Untersuchung der Wasserperlenkette, die daran hängt ergibt einen mittleren Durchmesser von 60 µm bei einem Tropfenabstand von 100 µm, d.h. auf 6 Meter Länge hängen 60.000 Wassertropfen am Faden – entspricht einem Gesamtgewicht von 6.000 Milligramm (6 mg). Also hat das Wasser, das den Faden erst „sichtbar“ macht, die 600-fache Masse des Fadens an dem es hängt! Besteht da nicht die Gefahr des Reißens? Der Spinnfaden würde erst bei einer Last von 0,013 Newton reißen. Das entspricht etwa dem 200-fachen des Gewichtes der Wassetropfen … oder dem 10-fachen des Gewichtes einer ziemlich „fetten“ Kreuzspinne!

Wenn das jemandem Ehrfurcht vor den Fähigkeiten unserer Planeten-Mitbewohner vermitteln würde, wäre der Sinn dieses Textes erfüllt.

Herbert Börger

Berlin, 20.07.2020