Voigtländer VM ULTRON 35 mm f/1.7 an Sony A7Rm4 mit und ohne PCX-Vorsatzlinse

Bei dem Objektiv-Namen „ULTRON“ bekommen die meisten Liebhaber historischer Kameraobjektive eine Gänsehaut: Optik aus der Rechenstube von W.A. Tronnier – aus seinem XENON abgeleitet, das ein perfektioniertes Planar-Design (Doppel-Gauß) ist.

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Fig. 1: Linsenschema Ultron 35mm f/1.7 – Quelle: https://www.voigtlaender.de/objektive/vm/35-mm-f-17-ultron-asphaer/

Auffallend ist die goße Linse mit konkaver Frontfläche – aber ist es wirklich ein ULTRON?

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Fig. 2: Linsenschnitt des historischen Ultron 50 mm f/1.8 für Icarex von 1968 (W.A.Tronnier) – Quelle: http://www.klassik-cameras.de/Bessa_RF_histo_dt.html

Das moderne, für Digitalsensoren berechnete und mit asphärischer Linse ausgestattete Objektivdesign ist ein „Zitat“ des Tronnier’schen Ultron 50mm f/1.8 für die Icarex von 1968.

Auffälligster Bestandteil der Anlehnung an das Icarex-Ultron ist die konkave Frontlinsen-Vorderfläche – seinerzeit ein erstmaliges – danach lange Zeit ein sehr seltenes Design! Derzeit ist das allerdings keine Seltenheit mehr: Zeiss, Sony und Leica haben in den letzten Jahren sehr viele Optiken mit konkaver Frontlinse heraus grebracht – mit hervorragenden Ergebnissen.

Ausgerechnet das wichtigste Merkmal, das ein Planar oder Xenon zum „Ultron“ macht, fehlt bei dem neuen Voigtländer-Design: die Aufspaltung einer der beiden inneren verkitteten Doubletten (im Original der vorderen Doublette!) des Doppel-Gauss … und darüber hinaus die typische Tronnier’sche Verschlankung der dabei entstehenden Einzellinsen in eine dünnere Menisken-Form. Beim neuen Ultron 35 mm fehlt dieses Merkmal völlig – und damit ist das Objektiv nach unserem traditionellen Verständnis keinesfalls ein „Ultron“. Aber wer will der Firma Cosina das Recht absprechen, mit einem fast schon kultisch gehypten Namen (an dem Cosina die Rechte hat!) Marketing-Erfolge zu erzielen – solange etwas Gutes dabei heraus kommt … und das Ergebnis ist hier exzellent!

Mit dem LM-Bajonett ausgerüstet ist es maßlich für Leica-RF basierte Kameragehäuse konstruiert – und daher vermutlich für relativ dünne Filterstacks vor dem Sensor. Das ist bekanntlich eine schlechte Nachricht für Nutzer von Sony A7-Kameras, deren Filterstacks bei 2 mm Dicke liegen. Zu erwarten ist dabei, dass die Auflösung bei voller Öffnung am fernen Rand und in Ecken miserabel sein wird – und ja: sie ist es. Das Objektiv, das im Zentrum auch bei dieser 60MP-Kamera die Nyqist-Frequenz (3.168 LP/PH) schon bei voller Öffnung locker „überfliegt“,  startet „nackt“ an die Sony A7R4 adaptiert bei miserablen 513 / 515 Linienpaaren je Bildhöhe bei f/1.7 und f/2.0. Das war zu befürchten – und deshalb hatte Fotofreund Klaus das Exemplar, das er mir für diese Messungen geliehen hat, bereits mit dem sogenannten „PCX-Filter“ ausgestattet: eine einfache plankonvexe Vorsatzlinse – in diesem Falle mit 5 Metern Brennweite.

Das Ergebnis: Die Auflösung beginnt auch in den Ecken bei Offenblende um die 900 LP/PH – das sind nach alter Väter Sitte immerhin dann schon 75 Linien/mm !

Sehen wir uns die vollständigen IMATEST-Messergebnisse an:

a) Das „nackte“ Ultron 35mm f/1.7 an der Sony A7RIV:

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Fig. 3 – hier über den Techart-LM-Adapter an die A7RIV angesetzt – Quelle: fotosaurier – Leihgabe der Optik von Klaus Breustedt – Danke!

Zunächst die Auflösung über den Blendenwerten aufgetragen:

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Fig. 4: Auflösung Ultron 35mm f/1.7 an Sony A7R4 – Quelle: fotosaurier

Erkennbar ist die schwache Offenblenden-Leistung in den Ecken (>75% des Bildkreises) bei sonst sehr guter Performance. „part way“ ist die gesamte Bildfläche zwischen 30% und 75% des Bildkreises.

Aber wie steht es mit den anderen wichtigen Eigenschaften des Objektivs wie Kantenschärfe, Verzeichnung und Chromatische Aberration?

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Fig. 5: Tabelle aller optischen Eigenschaften des Ultron 35mm f/1.7 – Quelle: fotosaurier

Auflösung in der Bildmitte und „edge sharpness“ (Kantenschärfe) hängen eng zusammen – und sind bei diesem Objektiv exorbitant!

Das sensationellste ist aber die Verzeichnung, die hier ja sicher „natur-pur“ für die Optik steht, da ja kein Korrektur-Algorithmus „eingreifen“ kann: Kamera und Objektiv haben keine Beziehung zueinander! Wenige hundertstel Prozent und dann noch „Moustache“, also keine eindeutige Linienkrümmung – das ist „NULL“ Verzeichnung – jedenfalls bei der Meßentfernung von ca. 1,2 Metern.

Die C-A in der Bildmitte ist auch an der Sony ordentlich – beginnend bei Offenblende knapp über ein Pixel am Bildrand – da sind dann bei 400% schon deutliche Farbsäume zu sehen:

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Fig. 6: Radialer C-A Verlauf des Ultron 35f1.7 an A7R4 über die Bildfläche bei Blende 2.0 – Quelle: fotosaurier

In der Bildmitte sehe ich nur einen leichten gelb-rötlichen Schimmer verursacht durch die erkennbare Aufspaltung der RGB-Kurven im Hell-Dunkel-Übergang., aber keinen Farbsaum:

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Fig.7: Aufspaltung der RGB-Stahlen am Hell-Dunkel-Übergang – Quelle: fotosaurier

b) Das VM Ultron 35 mm f/1.7 an der Sony A7RIV mit vergüteter (plano-konvexer) PCX-Vorsatzlinse mit 5 Meter Brennweite (PCX-5m)

Die Sammel-Linse soll dabei die objektseitige Wellenfront so deformieren, dass die Bildfeldkrümmung, die durch den dicken Filterstack der Sony-Kamera an Rand und Ecken erzeugt wird, kompensiert wird.

Dieser Effekt tritt tatsächlich ein, allerdings wird die gesamte Bildfläche von der Korrekturlinse beeinflusst – wir sehen uns an, was da passiert. (Nicht zu vergessen, dass wegen der positiven Vorstzlinse nur dann noch auf Unendlich fokussiert werden kann, wenn der Adapter zur Kamera im kürzesten Auflagemass flacher gemacht werden kann bzw diese Reserve schon besitzt …)

 

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Fig. 8: Resolution Graph of Ultron 35 f/1.7 with PCX-Front-Lens of f=5 m – Source: fotosaurier

Die Auflösungen bei offener Blende und den folgenden Stops ist in Ecken und „part-way“ (in den Ecken auch generell über die gesamte Blendenreihe!) deutlich angehoben bei 1.7/2.0 auf fast das Doppelte!

Gleichzeitig sinkt die Auflösung im Zentrum etwas – und auch in der folgenden Tabelle sieht man, dass die Kantenschärfe etwas geringer wird – aber immerhin wird in der Bildmitte immer noch von Bl. 2.0 – 8.0 die Nyquist-Auflösung des A7R4-Sensors erreicht oder übertroffen.

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Fig. 9: All properties of Ultron 35 f/1.7 with PCX-Front-Lens of f=5 m – Source: fotosaurier

Die „edge sharpness“ ist leicht verringert, die Verzeichnung immer noch überirdisch gut, wenn auch nicht mehr „Moustache“ sondern generell „pincushion“, dagegen ist die Chroma (am Bildrand!) deutlich verringert:

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Fig. 10: C-A radial of Ultron 35 mm f/1.7 at f/2.0 with PCX-5m Corrector lens – Source: fotosaurier

Beide Äste der radialen C-A-Kurven sind flacher als in Fig. 6 – besonders auffällig ist das aber bei der roten Kurve!

Tatsächlich ist bei allen meinen Messungen mit der PCX-Korrektur-Vorsatzlinse der gleiche Effekt zu sehen: die Chroma an Rand/Ecken ist damit deutlich reduziert – und damit geht die Verbesserung der Auflösung dort einher!

Stellen wir uns vor, wie die sehr schrägen bildseitigen Strahlen auf den dicken Filterstack (dessen optische Wirkung in der Objektiv-Berechnung nicht berücksichtigt wurde/werden konnte!) auftreffen: die Strahlen werden gebeugt – aber auch im Sinne eines Prismas spektral unterschiedlich abgelenkt (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Prism-rainbow-black.svg).

Damit liegt für mich der Schluss nahe, dass die eigentliche Wirkung der PCX-Linse darin liegt, dass der Farbfehler, den die einfache vorgesetzte Linse unweigerlich hat, den von der planen Filterplatte an Rand und Ecken erzeugten prismatischen Farbfehler kompensiert. Wie wir sehen, nicht vollständig – aber in der Praxis sehr wirksam! Das bedeutet, dass andere Glassorten in der PCX-Linse (hier ist es wohl BK7) noch Optimierungsmöglichkeiten enthalten würden.

Aber vergessen wir bitte nicht: es ist ja eine einfache, sehr preiswerte d.h. pragmatische Maßnahme, die – das werden wir unten noch sehen! – in der gleichen Größenordnung wirken kann, die ein dünnerer Filterstack bewirkt!

Sehen wir uns hier abschließend noch die C-A in der Bildmitte am Hell-Dunkel-Übergang an:

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Fig.11: Aufspaltung der RGB-Stahlen am Hell-Dunkel-Übergang -Sony A7R4 – Ultron + PCX-5m-Linse – Quelle: fotosaurier

Auf der hellen Seite sieht man eine leichte Verbesserung zu Fig. 7 – auf der dunklen eine gewisse Verschlechterung, wobei diese Abweichungen in den RGB-Strahlen im Bild auch bei hoher Vergrößerung praktisch nicht zu sehen sind. Ab Bl. 4 kommen die drei RGB-Linien dann praktisch perfekt zur Deckung!

Die Ergebisse zeigen damit Fotofreund Klaus, dass seine Kombi aus Ultron 35 mm f/1.7 und PCX-Vorsatzkorrektor-Linse ein fabelhaftes Gespann ist, und er weiß jetzt warum er damit bisher schon so glücklich war…

Ich habe auch praktische Aufnahmen mit der A7R4 mit der Kombination gemacht und kann die Messungen absolut bestätigen – vor allem liefert sie großartige Sonnensterne, die Klaus ja so liebt!

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Copyright fotosaurier

Herbert Börger, Berlin, September 2022

2 Gedanken zu „Voigtländer VM ULTRON 35 mm f/1.7 an Sony A7Rm4 mit und ohne PCX-Vorsatzlinse“

  1. Herbert, vielen Dank für Deinen komplexen Testbericht.

    Diese Messungen sind weltweit einmalig – bisher gab es immer nur Bildvergleiche über die erfolgreiche Anpassung an den dicken Sony – Filterstack.
    Deine Messungen bestätigen meine Erfahrungen, zusätzlich kommt aber noch die nicht unerhebliche Feldkrümmung, ohne den PCX-Filter dazu. Das ist mir bei den Oldtimer – Aufnahmen aufgefallen, da waren die Linien an den Fahrzeugen verbogen, oder auch einfach aus dem Schärfebereich gelaufen.
    Ich liebe diese Linse.

    Danke für die viele Mühe mit Deinen grandiosen Berichten!
    Gruß Klaus Breustedt

    1. „Komplex“ ist das passende Attribut: das bisher beschriebene ist noch nicht alles – da kommt noch mehr! Auf bald!
      Herbert – fotosaurier

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